Mon Feb. 5, 2018
20:30

the reformARTorchestra plays for Sunny Murray (A)

Fritz Novotny: soprano saxophone, flute
Rina Chandra: bansuri
Gerhard Fritsch: tenor, baritone saxophone
Georg Graf: bass clarinet
Sandro Miori: tenor, soprano saxophone, flute
Rudolf Ruschel: trombone
Karl Vössner: english horn
Raoul Herget: tuba
Yedda Chunyu Lin, Inge Katharina Pechoc: piano
Paul Fields: violin
Johannes Groysbeck: bass guitar
Nikolaus Dolp: drums
Peter Rosmanith: percussion

anschließend: Sunny's time now – a portrait of jazz drummer Sunny Murray (108', 2008, engl.)

Sorry this part has no English translation

Am 7.Dezember 2017 starb der große Schlagzeuger in Paris. Sunny Murray war ein Revolutionär, der ein offenes Spielkonzept entwickelte und das Schlagzeug weg vom reinen Timekeeping brachte. Am besten zu hören in den Bands von Albert Ayler, Cecil Taylor und natürlich in der Reform Art Unit um Fritz Novotny, mit der er über viele Jahre immer wieder kooperierte. Letztmalig übrigens im September 2007. "Sunny's time now" ist ein Dokumentationsfilm des französischen Regisseurs Antoine Prum, der an dieser Stelle mehr als empfohlen werden soll und den wir im Anschluss an das Konzert zeigen werden. So long, Sunny.

Vor 50 Jahren, im Februar 1966, ist ein Album erschienen, auf dem der junge Stil des Free Jazz zu einer Intensität des Ausdrucks fand, die er später kaum mehr erreichen sollte: Aus „Ascension“ von John Coltrane atmete, nein: schrie nicht nur der Geist des Aufbruchs, sondern auch Spiritualität am Rande der Verzückung. Coltrane nannte die kollektive Improvisation für sieben Bläser, zwei Kontrabässe, Klavier und Schlagzeug sehr bewusst eine Himmelfahrt.

Schon vor 51 Jahren formierte der Saxofonist Fritz Novotny in Wien die dem Free Jazz verschriebene Reform Art Unit. Es gibt sie bis heute, als das wohl langlebigste Ensemble seiner Art. Im Dezember 2015 ist Trompeter Sepp Mitterbauer, der wie Novotny von Beginn an dabei war, gestorben. Zu seinem Gedenken spielte die Reform Art Unit im Porgy & Bess ein Konzert in großer Besetzung. Selbstverständlich eine kollektive freie Improvisation, aber diesmal mit einem musikalischen Thema im Zentrum: dem Eingangsmotiv von „Ascension“, einer Fanfare, einem aus fünf Tönen bestehenden Weckruf.

Eine schöne, rührende Idee, Mitterbauer mit diesem Himmelfahrtsmotiv zu ehren! Es riss auch alle 13 Musiker empor. Kaum war es – nach einer anfänglichen Meditation der Holzbläser und Streicher – erstmals erklungen, war das Feuer da. Und erlosch nicht mehr, eine gute Stunde lang, auch in den ruhigeren Passagen, wenn etwa Paul Fields mit seiner Geige und Karl Wilhelm Krbavac mit seiner Viola da Gamba miteinander sprachen. Unterschiedlicher können Temperamente kaum sein – Fields behält selbst im Sturm sein sehr wienerisches Phlegma, Krbavac spielt wild wie seine Mimik, am Rande zur Zerfahrenheit –, und doch fanden sie einander und dann den versunkenen Fagottisten Alaeddin Adlernest, der immer mehr wie Albert Einstein aussieht, gleich dazu.

Dass das Spiel nie zerfiel, wie's bei freier Improvisation oft passiert, lag auch an den ordnenden Händen von Schlagzeuger Wolfgang Reisinger: Er hörte Rhythmen keimen, förderte sie behutsam, statt sie, wie es manche Free-Jazz-Schlagzeuger machen, zu zertrampeln. Die zwei Bassisten – Johannes Groysbeck am elektrischen, Reinhard Ziegerhofer am akustischen Bass, auch sie grundverschieden im Duktus – machten da mit, einmal fanden sie mit Reisinger gar zu einem Rockjazz-Groove, der an Miles Davis' „Bitches Brew“ erinnerte, vielleicht auch, weil wie auf diesem Album eine pointierte Bassklarinette (Georg Graf) kräftige Akzente setzte.

Bemerkenswert im Unterschied zu Coltranes „Ascension“: Bei der Reform Art Unit sind die Solos deutlich kürzer, das mag auch daran liegen, dass das Jazzsolo in den vergangenen 50 Jahren in den Geruch gekommen ist, zu oft der Protzerei mit Virtuosität zu dienen. Von dieser hört man in Novotnys Kollektiv erfrischenderweise nichts, oft stacheln einander zwei oder mehr Solisten so neidlos an, dass man an das Motto eines anderen österreichischen Jazzers, Joe Zawinul, gedacht hat: We always solo, and we never solo.

Innig, fast wehmütig endete die zweisätzige „Edgar Allan Poe Suite“, dann rief der launige Krbavac zur Zugabe. Aus dieser hörte man die schmeichelnde Melodie von „Somewhere over the Rainbow“ heraus, im guten Free Jazz ist alles, auch das erlaubt. (Thomas Kramar, Die Presse, 08.02.2016)