1. September 2018
Von Hannes Schweiger

DI 28. August 2018
…dann doch lieber fliegen
JAIMIE BRANCH QUARTET „FLY OR DIE“
Jaimie Branch (tp), Lester St. Louis (cello), Jason Ajemian (b), Chad Taylor (dr)

Arco gespielte, indeterminierte Klangzustände, den Saiteninstrumenten abgerungen, setzten die eröffnenden Klangmarken eines zunächst sperrigen Erfindungsvorganges, einer mit Spannung erwarteten Performance der jungen, in Chicago ansässigen Trompeterin Jaimie Branch. Im Erscheinungsbild eher Teil einer unangepassten Rap-Gang, wurde die knietief im Jazz-Humus stehende, energiestrotzende Musikerin bereits reichlich von den einschlägigen Medien mit Lorbeeren behängt. Wiederum wurde von dieser Seite, mit ihrer unstillbaren Sensationsgier im Rahmen eines auf besinnungslose Leistung getrimmten Zeit-Ungeists, enormer Druck ausgeübt. Anstatt einen Künstler einfach über einen längeren Zeitraum auf seinem Profilschärfungsweg zu „begleiten“. Unter dem Druck stöhnt auch Branch, obschon sie diesen mit sympathischer Coolness abzufedern versucht.  Wenig überraschend drang in den ersten Minuten der Klangrede ideenbezogene Unentschlossenheit vermischt mit klangqualitativem Zaudern seitens der Saiteninstrumentalisten ans Ohr. Ein Versuch des Schlagzeugers sich als Korrektiv und Initiativ mit Schubkraft ins Geschehen zu werfen, war nur teilweise durchschlagend. Der rhythmische Flow verhedderte sich in ruckartigen Pattern und gelegentlich zu hölzerner Wucht. Zudem wusste man nicht genau, soll die metrische Gelöstheit oder das Timekeeping obsiegen. Mit scharfstrahligem, bissigem Ton wischte mit ihrem Einstieg Branch einmal alle Zweifel beiseite. Sie setzte mit markig rhythmisierten Motiven, in Variationen weitergesponnen, anstachelnde Bezugspunkte und lenkende Strukturzellen. In den freizirkulierenden, kollektiven Klangfarbenimprovisationen fanden die Ideen bei ihren Mitstreitern nur schleppend eine Entsprechung, wohingegen bei Fokussierung auf einen periodischen Beat, in funkig angehauchter Akzentuierung gebündelt, der dynamische Impetus geschlossen eintrat und die Bewegungsintensität an Dringlichkeit gewann. In dieser Umgebung begann das Potential der Trompeterin wirklich zu leuchten. Phrasierung, Artikulation wie auch vibratolose Tonbildung zeugen von reicher Kenntnis des Jazzidioms. Stilmarken von Kapazundern wie Miles, Lester Bowie, Don Cherry lässt sie auf´s originärste in ihr Spiel einfließen. Doch blieb sie zu sehr in ihrer Themenbezogenheit haften, was auf Kosten einer melodischen Entwicklung in den Improvisationen ging. Ebenso blieben harmonische Texturen gänzlich ausgespart, wodurch sich die langen Verlaufsbögen, die beide Sets gänzlich ausfüllten, in zu starrer Linearität erschöpften. Eine erfrischende Räudigkeit kann man der Musik keineswegs absprechen, doch durch die fehlende verbindliche Konzeption kam dieser im Konzertverlauf der Biss abhanden. Branch hat zweifelsfrei das Vermögen zum dahinfliegen; der Kurs und die Wahl der „Flugbegleiter“ bedarf noch einiger Feinjustierung.