3. Dezember 2018
Von Hannes Schweiger

FR  30. November 2018
Free Jazz Altstoff & harmonisches Vollbad
LONDON JAZZ COMPOSERS ORCHESTRA
Besetzung siehe Programmteil

Auf den Spuren des Proto-Free Jazz Großensembles, dem amerikanischen Jazz Composer´s Orchestra, das genau genommen eine Initiative des österreichischen Trompeters Michael Mantler im Zuge der Jazz-Evolution der 1960er Jahre war, trommelte Barry Guy mit der Creme der damaligen britischen, freien Improvisationsszene, 1970 das London Jazz Composers Orchestra zusammen. Einer Idee folgend, einen effizienten Weg hinsichtlich der Verdichtung, der Gewichtungsgleichheit des Spannungsverhältnisses zwischen festgeschriebenen Organisationsabläufen und ungebundenen improvisatorischen Freiräumen zu finden. Unbeirrbar gelangte Guy, der auch als Bassist eine maßgebliche Stimme in der Improvisierten Musik ist, zum entsprechenden Lösungsansatz und positionierte sein Ensemble, neben dem Globe Unity Orchestra, als das relevante, beständigste und eine zeitlang wegweisende  Großprojekt der intuitiven Improvisationsmusik europäischer Provenienz. Spezifikum ist in Guy Ansatz der Fakt, dass er seine Erfahrungen im Bereich Alter Musik und avancierter, komponierter Musik des 20. Jhdts wohlüberlegt einfließen lässt. Überraschend erscheint hingegen die quasi klassische Jazz Big Band Besetzung. Nachdem Guy das Orchester immer wieder auf Eis legen musste, bekam er im Rahmen des heurigen Wien Modern Festivals, als dessen Abschlussact, die Gelegenheit zu einem neuerlichen Relaunch. Die Örtlichkeit hierfür war klug gewählt. Mittlerweile in der Schweiz lebend, lag es auf der Hand für die aktuelle Besetzung gleichfalls profunde jüngere Schweizer Musiker, mit denen Guy teilweise eine intensive Zusammenarbeit verbindet, einzuladen. Aber auch einen österreichischen Musiker ereilte die Ehre, den Trompeter Martin Eberle. Von den alten Weggefährten, von denen der Kontrabass-Solitär Barre Phillips eine besondere Rolle bekleidete, war nur mehr eine Handvoll dabei. Altgediente Free Jazz-Funktionalismen die in Kleingruppierungen innerhalb des Orchesters zelebriert wurden, bestimmten das erste Set. Sprich, abstrakte Temperaturen, Klangenergiespiel, frei akzentuierte Rhythmik, indeterminierte Freitonalität, atonales, geräuschimmanentes Streugut. Inbrünstig frei gemacht, mit viel Sinn für Dynamikschattierungen und dem Vermögen für ad hoc inszenierte Formgebung. Hervorstechend Jürg Wickihalder am Sopransax. Julius Gabriel am Baritonsax und Martin Eberle mit unglaublichen solistischen Kreativakten. Als Ruhepol und Autorität dazwischen Barre Phillips. Er musste nicht einmal einen Ton spielen, wenn er es tat öffneten sich Räume, er selbst ist Klang. Hingegen Guy sein hyperquirliges Spiel inzwischen zurückfahren könnte. Er weiß doch wie man Ereignisse trägt. Konträr dazu gestaltete sich der zweite Konzertteil, den gänzlich Guys zentrale Komposition „Harmos“ in Anspruch nahm. Wie im Titel angedeutet basiert das Stück auf harmonisch wogenden Texturkoordinaten mit schlichten, berührenden Melodieverbindungen. Majestätische Bläsertutti, dem Dirigat Guys folgend, unterstreichen den hymnischen Gestus. Harmos betont das dezidierte Gepräge einer Konzeption in einem tonalen, periodisch rhythmisierten Kontinuum. Eingeflochten sind Anregungen zu spontaner Kollektivität bzw. solistischem Treibgut in freier Fließgeschwindigkeit. Letztere entsprachen nicht immer überzeugend den Intensionen des Stückes. Doch für es entscheidend, ist die kollektive Energie, der gravitätische Wirkungsgrad. All das enthebt das Werk einer musealen Ästhetik. Der Gültigkeitsanspruch bleibt unangetastet.