EDIT ORIA L
Old & New Dreams
"Jazz ist Dein Tod und mein Tod." (Charles Mingus)Der deutsche Philosoph H. M. Enzensberger sagte einmal sinngemäß: Was soll ich von einer Avantgarde halten, deren ausschließliches Interesse es zu sein scheint, sich selbst in den eigenen Wurmfortsatz zu beißen? Zusatzfrage: Und was rechtfertigt eine Tradition, die sich ständig selbstbeweihräuchert?
Es geht in dieser vom "Porgy & Bess" konzipierten Konzertreihe (der Arbeitstitel lautet übrigens Tra-Diktion! Tra-Fiktion?) nicht gegen, sondern um Tradition - vielleicht um eine etwas andere als land(l)läufig verstanden wird, jedenfalls aber um eine, die es verdient, ernst genommen zu werden.
Die Titel für 17 Konzertabende sind von Stücken von Ornette Coleman entlehnt, dem einst ein erboster Dizzy Gillespie unterstellte, seine Musik sei alles mögliche - nur kein Jazz! (Im Verbund mit Charlie Parker hat man demselben Gillespie eine Generation davor ein gleichlautendes Urteil ausgestellt). Wer würde heute seriöserweise in Abrede stellen können/wollen, daß es sich bei der Musik des klassischen O.C. Quartetts (mit Don Cherry, Charlie Haden und Billy Higgins) um Jazz handelt? - noch dazu um Jazz, der unüberhörbar tief und organisch in der Tradition wurzelt. Über den colemanschen Ansatz der "motivischen Improvisation" kann man sich u.a. bei dem deutschen Musikkritiker Bert Noglik informieren, über die Einspielung "Free Jazz" liest man am besten die "liner notes", und über das "harmolodische" Konzept kann man sich Aufsätze von Ornette himself zu Gemüte führen - oder noch anschaulicher: sich die Einspielungen von "Prime Time" anhören.
Das Traurigste, was dem Jazz (eine Ästhetik, die sich wohlgemerkt erst in diesem Jahrhundert entwickelte) passieren kann, ist eine eitle retrospektive Nabelbeschau. Die großen Innovatoren dieser Musik (Parker, Davis, Tristano, Giuffre, Monk, Mingus, Coltrane, Dolphy, Taylor, Coleman ... viele Namen fehlen) waren Querdenker, die sich von der Tradition nie abgewandt haben, ihr aber neue Impulse gaben, die später wie selbstverständlich zum fixen Wortschatz geworden sind. Die Avantgarde (als eine Haltung, die auch heute oft als Stil mißverstanden wird) mag tot sein - wen schert`s, solange es "aufgeklärte Traditionalisten" gibt, denen eine selbstgewählte Expeditionsroute zielführender erscheint, als allzeit einem vermeintlich "heiligen Gral" hinterherzuhecheln.
Die österreichische Jazz-Szene zeichnet sich durch ein hohes Kreativpotential gerade auch abseits des Mainstream aus - und durch auffällige Eigenständigkeit. Einige Vertreter des "nonkonformistischen Traditionalismus" können anläßlich dieser Reihe im großen Sendesaal des RadioKulturhauses (wieder?)gehört werden. CH
Let`s play the music and not the background! O.C.
PORGY & BESS, GRAF STARHEMBERGGASSE 1A/7, 1040 Wien, Tel.: +43-1-5037009