Step across the border: Slovenia
Wenn man versucht, die Konturen des Jazzlebens in Slowenien zu erfassen, ist ein guter Ausgangspunkt die Tatsache, dass das Land mit rund 2 Millionen Einwohnern nur wenig größer ist als Wien. Das Land zeichnet sich auch durch einen niedrigen Urbanisierungsgrad aus, und da Jazz oft als explizit urbane Musikform wahrgenommen wird, ist dies eine schwierige Voraussetzung für das Gedeihen einer Szene. Nichtsdestotrotz kann man sagen, dass das Jazzleben in Slowenien überraschend gut ist, und an jedem beliebigen Abend besteht eine beträchtliche Chance, dass irgendwo im Land eine Jazzaufführung stattfindet - zumindest, wenn die Definition von Jazz offen genug ist und somit auch verschiedene Avantgarde- oder genreübergreifende Ausdrucksformen einschließt.
Historisch gesehen kann man den Jazz in Slowenien bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen. Das erste ernstzunehmende Jazzorchester - die noch heute bestehende RTV Slovenia Big Band - wurde jedoch erst 1945 gegründet. In den ersten Nachkriegsjahren hatte der neue sozialistische Staat einige ideologische Vorbehalte gegenüber dem Jazz, die aber - im Gegensatz zu anderen Teilen des Ostblocks - bald verworfen wurden. So wurde das erste Festival, das heute Jazzfestival Ljubljana heißt, 1960 ins Leben gerufen und ist heute das älteste kontinuierlich stattfindende Jazzfestival in Europa. Allerdings gab es anfangs nur wenige Konzerte für den Rest des Jahres, und lange Zeit fehlte es an einer geeigneten Club-Infrastruktur.
Dennoch brachte das Festival immer wieder Musiker aus der ganzen Welt nach Ljubljana, wobei sowohl amerikanischer Free Jazz als auch skandinavische ECM-Klänge gut vertreten waren. Ab den späten 1970er Jahren und in den 1980er Jahren wurde die abenteuerliche Musikalität auch in Ljubljana aufgenommen, angeführt von Bands wie Begnagrad (unter der Leitung des immer noch aktiven Bratko Bibič), Miladojka Youneed, Lado Jakša und Lolita. Ein Beispiel für die Stimmung der 80er Jahre ist das 1984 ins Leben gerufene Druga-Godba-Festival, auf dem neben Reggae und Folk auch nicht-idiomatische Improvisation gespielt wurde.
Dies war zum Teil eine Reaktion auf die orthodoxere Ausrichtung des wichtigsten Jazzfestivals jener Zeit, aber eine starke Sensibilität für Experimente und das Ausweichen auf andere Genres hat sich bis heute erhalten. Es ist nicht verwunderlich, dass das Jazz Festival Ljubljana 2018 mit dem EJN Award for Adventurous Programming ausgezeichnet wurde. Dieser Programmansatz (und sein breiterer Kontext) führte jedoch zu einigen Beschwerden aus bestimmten Kreisen des Mainstream-Jazzpublikums und der Autoren.
Die Größe und Zusammensetzung des Jazz-Publikums war schon immer schwankend, aber in den letzten zwei Jahrzehnten wurde es immer schwieriger, genügend Publikum für größere Spielstätten zu finden, so dass heute auch sehr bekannte Künstler in mittelgroßen Spielstätten auftreten. Auf der anderen Seite füllen die Veranstalter experimenteller Musik ihre kleinen Spielstätten jetzt viel häufiger voll. Ein weiterer bemerkenswerter Trend ist, dass im letzten Jahrzehnt ein Generationswechsel hin zu einem jüngeren Publikum im gesamten Spektrum der Jazzmusik stattgefunden hat.
Dennoch ist das potenzielle Publikum in Slowenien klein, und die öffentliche Finanzierung ist für die Szene entscheidend. Zeitgemäße Mechanismen zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Künstlern wurden erst in den frühen 2000er Jahren entwickelt, und obwohl diese Finanzierung sehr begrenzt ist, hat sie doch erhebliche Auswirkungen. Zahlreiche Festivals und Konzerte entstehen ständig, aber die meisten von ihnen sind keine professionellen Unternehmungen. Die Szene wird kaum finanziert, und die meisten Künstler mit einer internationalen Karriere haben es vorgezogen, für einige Zeit außerhalb Sloweniens zu leben, wie Dre A. Hočevar, Jure Pukl, Kaja Draksler und Zlatko Kaučič.
Sie alle sind stilistisch sehr unterschiedlich, und es gibt keine derzeit vorherrschende Auffassung davon, was zeitgenössischer Jazz ist. Es gibt viele Einzelpersonen mit einem unverwechselbaren, einzigartigen Stil (der bereits erwähnte Akkordeonist Bibič sei hier noch einmal hervorgehoben), aber man kann auch eine Tendenz zur Bündelung der künstlerischen Aktivitäten um bestimmte Personen feststellen, die oft gleichzeitig als Musiker, Pädagogen oder Produzenten tätig sind. Eine solche Vielzahl von Rollen sowie eine manchmal diffuse Grenze zwischen Privatem und Beruflichem ist ein wesentliches Merkmal der Szene. (Anže Zorman)
Nach dem Modell von „Good News From Russia“, einem im Jänner 1998 organisierten Festival mit Musikschaffenden aus der ehemaligen Sowjetunion, soll regelmäßig ein Länderschwerpunkt organisiert werden, der die hierzulande weniger beachteten Musikszenen sowie andere „weiße Flecken“ auf der Jazzlandkarte näher beleuchtet. 2002 wurden unter dem Titel „Step across the border“ vielfältige Facetten der Musikszene Kroatiens und Polens präsentiert, 2004 jene von Rumänien und Serbien-Montenegro, und 2005 waren Bulgarien und Ungarn Thema von „Step across the border“. 2006 wurde ein einwöchiges Festival mit dem Titel „Gipsy World – Music & More“ realisiert, eine Präsentation der Musik eines Volkes, das kein Land hat; im April 2010 gab es übrigens eine zweite Auflage. Weiters gab es 2006 einen dreitägigen Schweiz-Schwerpunkt mit dem Titel „Swiss Kiss“ mit insgesamt sechs Formationen. Im Oktober 2009 fand „Step across the border: Macedonia“ statt, und im Jänner 2010 eröffneten wir sprichwörtlich Istanbul als europäische Kulturhauptstadt mit einem neuntägigen Festival. Bereits zum dritten Mal gab es im Juni 2010 den Schwerpunkt „Began in Africa“. Im Januar 2011 lautet das Thema „Step across the border: Czech & Slovakia“. Zum vierten Male präsentierten wir im Oktober 2011 unter dem Titel „hotROMania“ in Zusammenarbeit mit dem Rumänischen Kulturinstitut (RKI) und dem RadioKulturhaus (RKH) einen kleinen, feinen Schwerpunkt rumänischen Jazzschaffens. Im April 2011 fand ein neuer länderübergreifender Schwerpunkt statt, der sich der Mittelmeerregion widmete und unter dem Thema „Mare nostrum“ firmierte. 2012 wurde ein Brasilien-Schwerpunkt mit Musikerinnen und Musikern wie Egberto Gismonti, Naná Vasconcelos, Hamilton de Holanda, Cristina Braga, Jorge Antunes u. a. realisiert. Im Mai 2014 fand unter dem Titel „Sons of Toots – Jazz from Flanders & Brussels“ ein dreitägiger Schwerpunkt mit belgischen Musikern wie Philip Catherine, Robin Verheyen und Bert Joris statt. 2016 fand ein dreitägiges Festival mit dem Titel „Echoes From Armenia“ statt – aus Anlass des 100. Jahrestages des armenischen Genozids. Im Jahr 2022 wurde ein mehrtägiges Festival mit der Musikszene der Ukraine geplant unter der Federführung von Andrej Prozorov realisiert. (Programm-Konzept P&B)
Vom 4. bis zum 9. Oktober richten wir den Scheinwerfer auf die Jazzlandschaft unseres Nachbarn Slowenien. Kuratiert wurde der Länderschwerpunkt von Bogdan Benigar, langjähriger Direktor des Jazzfestival Ljubljana und nunmehriger künstlerischer Leiter des Druga-Godba-Festival.
Mit freundlicher Unterstützung des Slowenisches Kulturinformationszentrum (Skica). Dank an dessen Direktor Aljaž Arih.
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