6. Dezember 2018
Von mathias rüegg

So long, Uli

Uli Scherer, 1953-2018

Der österreichische Pianist und Komponist (geb. am 26.März 1953 in Villach) ist am 28. November im  Hanuschkrankenhaus in Wien friedlich eingeschlafen.


Unsere Wege kreuzten sich zwischen 1978 bis 1998  intensiv, davon sprechen u.a. neunundzwanzig Tonträger mit dem Vienna Art Orchestra und Ernst Jandl, die wir zusammen aufgenommen hatten. Manche Projekte wie Fe & Males hatten wir auch gemeinsam konzipiert. Uli war für mich ein Quell großer Inspiration, ein Vorbild in allen künstlerischen Bereichen. Er war der intelligenteste, gebildetste, belesenste unter den Jazzmusikern, nicht nur in Österreich; dazu mit einem hervorragenden Gedächtnis ausgestattet. Mit seinem Verstand, seiner räumlichen Vorstellung und seiner ungeheuren Musikalität, konnte er es sich leisten, alle seine Kompositionen  im Kopf, also ohne Instrument niederzuschreiben und geübt hatte er auch hauptsächlich - wenn überhaupt, dann mental, also bloß in der Vorstellung. Das war ausreichend! Darüber hinaus war er ein Meister im Erfinden von brillianten Konzepten, die Realisierungen hingegen interessierten ihn weniger. Es reichte ihm, seine Projekte in der Phantasie oder auf dem Papier zu sehen. Er konnte auch hervorragende Texte schreiben und ebenso gut zeichnen, wobei seine Partituren graphische Juwelen sind. Als Linkshänder, der auch fließend Spiegelschrift schreiben konnte, hatte er eine gnadenlose Rhythmik und Time, um nicht zu sagen, die besten von allen Musikern, die je im Art Orchester mitgespielt haben. Und da waren diesbezüglich einige Supercracks dabei! Als Uli 1998 aus gesundheitlichen Gründen das Orchester verließ, habe ich das Klavier durch Gitarre ersetzt. Uli war für mich der einzige nicht ersetzbare Musiker in meiner gesamten Karriere.   


Seine musikalischen Inspirationen holte er sich vor allem von Oliver Messiaen, dessen serielle symmetrische Reihen er sich zu Eigen gemacht hatte. Sein zweiter großer Einfluss war der amerikanische Jazzpianist Richie Beirach, den er sehr verehrte. Neben Ulis ausgefuchsten Kompositionen und nach seinen eher freieren Phasen, hatte er als Unterrichtender auch begonnen, sich intensiv mit dem Great American Song Book zu beschäftigen. Eines seiner Paradelieder ist Somewhere Over The Rainbow. Es gibt gleich drei Versionen davon, einmal mit Matthieu Michel im Duo, eine mit Wolfgang Puschnig, der zeitlebens musikalisch treu an seiner Seite war & Linda Sharrock im Trio und schließlich eine dritte mit der jung verstorbenen Sängerin Monika Trotz und Streichorchester in einem Arrangement von mir über seine Klavierversion.


Ein anderes Scherer-Arrangement ist der Ragtime (1918) von Igor Strawinsky, ebenfalls genial umgesetzt. Schließlich sind die ersten Jahrzehnte in der Pariser Kunst- und Musikszene Ulis absolutes Spezialgebiet, vor allem der Dadaismus und der Surrealismus hatten es ihm angetan. Davon zeugt eine Riesenbibliothek, mehr als außergewöhnlich für einen Jazzmusiker, wobei Uli eben wesentlich mehr war als das. Davon zeugen auch seine vielen Konzeptbücher und Zeichnungen, die es alle noch aufzuarbeiten gilt.


Leider gibt es nur wenige orchestrale Stücke von Uli, aber jedes von ihnen eröffnet einen eigenen Welt. Aus seinem umfangreichen Ouevre, sei als Improvisator und/oder Komponist - er ist  auf weit über fünfzig Tonträger zu hören, stechen für mich die zwei Duoalben Okipik und The Sadness of Youki mit Matthieu Michel heraus. Das ist große, integre Musik von zwei Meistern auf höchstem Niveau!    


Uli, stets selbstbewusst-zeitkritisch und dabei immer bescheiden-genügsam, hatte sich als Vertreter der Ästhetik der Verweigerung in seiner ganzen Karriere nie musikalisch verirrt, er ist sich immer treu geblieben. Es gib keinen irgendwie gearteten Trash nichts Anbiederndes und nichts Billiges von ihm. Alles, was er hinterlässt, ist beseelt von seinem inneren Ausdruck und von seiner künstlerischen Vision! Und daneben war in seinem Leben jede Menge Platz für intelligente Ironie und gute Geschichten, die er auch wunderbar erzählen konnte. Jedenfalls freue ich mich darauf, was in seinem Nachlass noch alles zum Vorschein kommen wird, und ich werde für Uli, wie mit ihm abgesprochen, eine Homepage gestalten und betreiben.    

    
Besonders traurig finde ich die Tatsache, dass es erstens kein Klavier-Trioalbum und zweitens keine klassischen Orchesterstücke von Uli gibt. Vor allem Letzteres hätte nicht passieren dürfen! Und wie auch immer der Zeitgeist weht, Uli Scherer war/ist ein ganz grosser österreichischer Musiker. Das wird sich in Zukunft weisen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Denn Qualität siegt am Schluss immer!

Wien, 1.12.2018   
mathias rüegg

https://www.mathiasrueegg.com/ulischerer