22. Juni 2019
Von Renald Deppe

Things ain't what they used to be...

Things ain't what they used to be...

Eine Reise in die iranische Provinz Belutschistan

„Um Dogmen und Satzungen streiten die einen,
Die andern um Glauben oder Verneinen.
Wer sind nun die, denen die Wahrheit sich zeigt?
Die Antwort ertönt: sie zeigt sich keinem.“

Omar Chayyām (1048-1131)

Vieles ist über die Islamische Republik Iran seit ihrer Gründung 1979 in den internationalen Medien veröffentlicht worden.

Und über vieles wurde und wird niemals berichtet.

Leben & Überleben...

Tendenziöse Berichterstattung, zumeist aus geopolitischen, ökonomischen oder religiösen Beweggründen, war und ist trauriges Tagesgeschäft.

Trügerische Feindbilder wurden und werden gebraucht, erzeugt, gepflegt und kultiviert um eine jeweilig angesagte Weltsicht dominant zu positionieren.

Trügerische „Wahrheiten“, raffiniert oder ungeschickt in den Medien positioniert, sollen die Wahrnehmungsqualitäten einer Öffentlichkeit manipulieren, indem diese ein kaum zu rechtfertigendes Vorgehen gegen die angeblich erkannten „Achsen des Bösen“ bejahen oder tolerieren.

Besonders gegenüber der heutigen Islamischen Republik Iran werden vielerorts peinliche Missverständnisse, Vorurteile, Zerrbilder und horrendes Unwissen verbreitet.

Diese nun schon seit langem gehegte böse „Banalität der Guten“ bezieht sich sowohl auf den Staat Iran im Allgemeinen, auf die Islamische Republik im Besonderen, auf Kunst und Kultur dieser seit vielen Jahrhunderten multikulturell agierenden Region des Vorderen Orients generell.

Zumeist. Natürlich bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel.

Nirgendwo auf dieser Welt finden wir ausschließlich paradiesische Zu- und Umstände.

Was auch immer das bedeuten mag: bezeichnet doch griechisch „parádeisos“ einen Tiergarten und das noch ältere aus dem mittelpersischen stammende „pardēz“ eine Einzäunung.

Doch (fast) niemand hat das (Über)Leben in Iran des 20. Jahrhunderts (kontra)punktgenauer in Verse gekleidet wie der in Teheran geborene Poet Ahmad Schamlu (1925-2000):

 

»Nie habe ich den Tod gefürchtet

obwohl seine Hände zerbrechlicher sind als das Verderben.

Meine Furcht - aber - gilt, zu sterben in einem Land,

in dem der Lohn des Leichengräbers

den Wert der Freiheit der Lebenden

übersteigt.«

 

Und:

 

»Unsere Verse sind Klagerufe der Erniedrigten. 

Wir schreiben für Barfüßige und Prostituierte,

für die, die den Himmel längst aufgegeben haben

und deren Hoffnungen sich auf die kalte Erde richten.«

Fremd- & Selbstbestimmung...

Und doch ist die Islamische Republik Iran (auch) ein Ort der Hoffnungen.

Zum Beispiel: Hoffnungen auf eine (nicht nur kulturell) selbstbestimmte Eigen- & Mitverantwortung iranischer Bürger, welche den westlichen Positionen der Zeitgenössischen Musik/Kunst und ihren kulturbetrieblichen Zu- und Umständen Interesse entgegenbringen, sich aber nicht unbedingt vorbehaltlos an diesen orientieren wollen.

Das ist ein sehr großer Unterschied: und nicht nur ein kulturpolitischer: Ein großer Teil der (nicht nur jungen) liberal denkenden, liberal agierenden Menschen dort hegen große Befürchtungen, welche sie mit dem Begriff "gharbzadegi" definieren.

Was soviel bedeutet wie: vom Westen geschlagen/vergiftet: die wirtschaftlich-kulturelle Abhängigkeit einer „Dritten Welt" vom Westen und die daraus resultierenden Symptome wie Entfremdung, Materialismus und Nachahmung der westlichen Kultur. 

Eingeführt wurde dieser von säkularen wie religiösen Aktivisten bis heute benutzte Terminus von dem iranischen Dichter Dschalal Al-e Ahmad (1923-1963) in seinem gleichnamigen berühmten Essay aus dem Jahre 1962. Die dort formulierten Positionen wurden von unterschiedlichen Protagonisten weiterentwickelt und umformuliert, kreisen aber im Kern um Folgendes: Wie ist eine Modernisierung/Reformierung des Systems zu erreichen ohne jenes "gharbazadeghi" und unter Wahrung der nationalen (islamischen) Identität?

Über diese diskursiven Fragestellungen in der nun Islamischen Republik Iran wird aktuell kaum berichtet.

Darum sollen an dieser Stelle einige Bemühungen des jährlich zumeist in Teheran stattfindenden „Fadjr Festival“ geschildert werden.

1983 wurde dieses interdisziplinär ausgerichtete Kulturfestival vom damaligen Staatsoberhaupt Ajatollah Ruhollah Musawi Chomeini begründet.

Wie jedes staatlich subventionierte, finanzierte, (holding)gelenkte Festival in der großen weiten Welt dokumentiert auch diese Festivität Höhen & Tiefen, Vor- & Rückwärtsgewandtes, (alt)bekannte Vorlieben & und (un)gewollt mutig Abseitiges, angesagt Quälendes & leise Irritationen, verordnete Ordnungen & manchmal entfesselt Widerständiges.

Doch immer wieder gibt es wie bei jedem staatlich subventionierten, finanzierten, (holding)gelenkten Festival etwas zu entdecken.

Sistan & Belutschistan...

So zum Beispiel das „8th Fadjr International Fashion Clothing Festival“ in Tschahbahar.

Die in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan gelegene Hafenstadt am Golf von Oman ist eine Freihandelszone mit einem bedeutenden Tiefwasserhafen. Umfangreiche Entwicklungspläne gibt es für diese (noch arme) Region: in wirtschaftlichen wie aber auch kulturellen Hinsichten.

Geostrategisch von brisanter Relevanz und zudem reich an Bodenschätzen ist die zumeist von sunnitischen Belutschen besiedelte Provinz im mehrheitlich schiitischen Iran ein Objekt verschiedenster Interessen, ideal für verdeckte und offene Destabilisierungsstrategien (nicht nur) gegen den iranischen Staat.

Hier versucht nun das Fadjr Festival stabilisierende Kulturarbeit zu leisten.

Mode muss nicht oberflächlich sein: sondern sie gestaltet die Oberfläche: oftmals das einzig sicht- und erlebbare in der Wahrnehmung des Menschen.

Kleider „machen“ nicht nur Leute: sie eröffnen, beschleunigen, verhindern, ordnen, inspirieren Wesentliches: Kommunikation.

Seit langer Zeit gibt es in dieser südiranischen Grenzregion zu Pakistan & Afghanistan hochwertige textilverarbeitende Traditionen: vor allem bei der weiblichen Bevölkerung.

Seit einiger Zeit versucht nun die Leitung des Fadjr Festivals gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen des Landes durch umfangreiche intensive Workshops für die Bevölkerung das Tradierte zu erweitern, zu vervollkommnen, zu ergänzen und auch gemeinsam dringend notwendige Marketingstrategien für ein faszinierendes „Balooch Needlework“ zu entwerfen.

Im Februar 2019 entwarfen Experten aus aller Welt (z. B. Lorenzo Morgantini / School of Design Milano) in Zusammenarbeit mit heimischen Fachkräften ein innovatives Fort-, Aus- & Weiterbildungsprogramm, welches einer zahlreich erschienenen Klientel günstig angeboten wurde.  

Auch die internationale Beteiligung bei der Ausstellung ist seit jeher ungemein beeindruckend: Diverse auf die jeweiligen handwerklichen wie gestalterischen Kleidungstraditionen der Regionen bezogene Designarbeiten dokumentieren ungewöhnliche ModemacherInnen aus Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Russland, Singapur, Irak, Syrien, Libanon, Afghanistan, Tunesien, Pakistan, Indien Armenien, Kanada u.a.

Zu sehen, zu bestaunen, zu bewundern gibt es auch eine betörende Vielfalt aus vielen der insgesamt 31 iranischen Provinzen: Und Kleidung für Damen von Damen ist nicht nur ein ästhetisches Thema in Iran.

Hier wäre besonders die langjährige Pionierarbeit einer Grand Dame zu nennen:

Mahla Zamani Nia, Gründerin & Herausgeberin der ersten iranischen Modezeitschrift LOTUS, ist eine mutige, hoffnungsfrohe, unbeirrbare, beharrliche und mit kreativer Ausdauer gesegnete Modedesignerin, Journalistin, eine ausgewiesene Expertin für iranische Bekleidungstraditionen und Begründerin der ersten iranischen Modeschau nach der Revolution: Heimat bist du großer Töchter, wertgeschätztes Iran!

 

Engagiert begleitet, unterstützt, gefördert und (mit)verantwortet werden diese wichtigen kulturellen Erlebnisqualitäten des „Fadjr International Fashion Clothing Festival“ vor allem von zwei couragiert agierenden weit- wie umsichtigen Männern:

Seyyed Mohammad Mojtaba Husseini (Assistent Director of Art Affairs)

&

Abdul Rahim Kurdi (CEO & Chairman of Commercial & Industrial Organization of Free Zone Chabahar)

Ost & West…

Der in Wien lebende deutsche Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer schrieb bereits in seinem im Jahre 2000 erschienen Buch „Iran, Drehscheibe zwischen Ost & West“ folgende bemerkenswerten Zeilen, welche auch und besonders für die kontinuierliche Arbeit des „Fadjr International Fashion Clothing Festival“ zutreffen:

"Damit ist der Iran geradezu ein Modellfall auch für einen globalen Umbruch: dass nach einem weltweiten Prozess oberflächlicher Verwestlichung Länder mit einer weitreichenden Hochkultur wieder selbstbewusst ihre eigenen Traditionen betonen - oder sich gar verstärkt auf eigene kulturelle Wurzeln besinnen. Nicht ein »globales Dorf« mit kulturell vereinheitlichten Strukturen, wie das manche Wissenschaftler unserer westlichen Hemisphäre prophezeien (und damit doch nur eine Weltkultur nach westlichem Einheitsschema wünschen). Eine Reihe völlig unterschiedlicher Kulturen werden sich nebeneinander behaupten. Dass diese Entwicklung konfliktgeladen ist, weil gerade Länder in Asien mit eigenständiger Hochkultur den westlichen Führungsanspruch als Anmaßung, als »kulturellen Imperialismus« zurückweisen, ist offenkundig. Um so wichtiger wird es, solch fremde Kulturen zu verstehen und ernst zu nehmen."

 

Enden möchte der Autor mit dem ungemein freigeistigen Denker des Beginns:

dem persischen Astronomen, Astrologen, Philosophen, Mathematiker und Dichter:

Omar Chayyām: 

 

„In Kirchen und Moscheen und Synagogen

Wird man um seiner Seele Ruh betrogen.

Doch dem, der der Natur Geheimnis ahnt,

Wird keine Angst vorm Jenseits vorgelogen.“

 

Die Natur (nicht nur) in Belutschistan ist atemberaubend schön.

 

© Renald Deppe, Wien, Februar 2019

 

LOTUS : www.Lotus-Mag.com

FADJR FESTIVAL : http://fajrmusicfestival.com/en/

FADJR FESTIVAL : http://fadjrtheaterfestival.com/en