Wenn ich mich richtig entsinne, dann wurde Michael Mantler einmal als „der unbekannteste berühmte österreichische Musiker“ bezeichnet – das ist nicht ganz von der Hand zu weisen wie mir scheint, aber mit diesem Schicksal steht er auch nicht alleine da. Betrachtet man jene Musikerpersönlichkeiten, die aus Österreich stammen und in der internationalen Jazzszene reüssierten bzw. nachhaltige „Footprints“ hinterließen, dann wären da neben Mantler zu nennen: Hans Koller, Joe Zawinul und Fritz Pauer. Und wenn Sie nun überlegen, welcher Name einer breiteren Öffentlichkeit – vielleicht mit der Ausnahme unseres Freundes aus Erdberg – halbwegs geläufig ist, dann werden Sie feststellen, dass „unbekannt“ kein ganz falsches Attribut ist. Das manifestiert sich in Mantlers Falle übrigens auch in der Anzahl der Auftritte unter seinem Namen in seiner Geburtsstadt: Kein Festival, kein größeres Haus, keine renommierte Organisation brachte das Musikschaffen dieses großen Sohnes dieser Stadt auf eine bundeshauptstädtische Bühne.
Frau Professorin Ingrid Karl machte mich darauf aufmerksam, dass diese Behauptung nicht ganz stimme, weil sie mit der Wiener Musikgalerie einen Workshop mit Mantler in den späten 1970er Jahren organisierte und es da ein Abschlusskonzert unter seinem Dirigat gab, das möchte ich der Vollständigkeit halber zumindest erwähnt haben, aber sonst gab es außer der Porgy & Bess-Auftritte kein angemessenes Engagement. Und das obwohl Herr Mantler Jazzgeschichte geschrieben hat und zwar zB 1968 mit der phantastischen Einspielung „The Jazz Composers Orchestra“, eine großorchestrale kompositorische Pionierarbeit mit so illustren Solisten wie Cecil Taylor, Don Cherry, Gato Barbieri, Pharoah Sanders, Larry Coryell und ein paar Jahre später als Produzent einer weiteren richtungsweisenden Aufnahme seiner damaligen Frau Carla Bley, nämlich dem epochalen „Escalator over the Hill“, was gemeinhin als Opus Magnum der wunderbaren Pianistin und Komponistin bezeichnet wird. Beide haben sich übrigens 2004 hier im Club getroffen; Carla präsentierte ihr Programm „The Lost Chords“, Michael bekam den von der Republik Österreich gestiftete Staatspreis für improvisierte Musik.
Ich zitiere:
„Michael Mantler war die letzte Dekade ein Fixpunkt in meinem Konzertleben. Was ich an ihm schätze: Zeitgeistigkeit – niemals!! Seine Formulierung ist vollkommen klar und drückt sich in einem unverwechselbaren Stil aus, welcher in wirklich keine Schublade passt. Das macht es schwierig für die Rezipienten, die so gerne eine Ordnung erkennen wollen. Jazz – nein, ja irgendwie schon, aber ohne Groove. Neue Musik – nein, irgendwie schrägtonal, aber doch tonal, viel zu konkret. Alle anderen Musiken – sowieso nicht. Also – vergessen wir ihn lieber. Dass dieses wichtige Werk im Schatten dahindümpelte – jetzt zum 80er rührt sich was – ist ein Armutszeugnis für Österreichs Musiklandschaft. Nichtsdestotrotz – solange es ein paar Christoph´s gibt“, sagt mein Namensvetter Christoph Cech über Mantler.
Ein paar biographische Eckdaten möchte ich ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten: Wie gesagt, geboren in Wien am 10. August 1943 – er hat also vor etwas mehr als einen Monat einen runden Geburtstag gefeiert – wuchs er in Sankt Pölten auf und er erzählte in einem Interview, dass seine ältere Schwester ihm einmal eine Charlie Parker Platte zum Hören gegeben hat – eine Aufnahme – die sein Interesse am Jazz erweckte. Wobei gar nicht der Meistersaxophonist himself ihn besonders beschäftigte, sein Interesse galt der Erforschung der Wurzeln dieser Musik und so ging er zurück – Swing, New Orleans, Ragtime, Spirituals. „From the Roots to the Source“ sozusagen, und das mit dem Background der europäischen Klassik. Die Trompete war gar nicht das Objekt der Begierde des juvenilen Michael, sondern das Saxophon aufgrund seiner Bewunderung der Handhabung dieses Instrumentes durch einen gewissen Earl Bostic, ein Altsaxophonist, der eher der Rhythm & Blues-Szene zuzurechnen ist, aber natürlich hervorragend gespielt hat. Es gab im einschlägigen St. Pöltner Musikfachgeschäft kein Holzblasinstrument, aber dafür – wie es sich für die Provinz gehört – viel Blech. So kam er quasi zufällig zu seinem Instrument, das er dann in Folge in Wien studierte, um es dann in Berkley ab 1962 an der legendären School of Music zu perfektionieren. Beide Studien hat er übrigens erfolgreich abgebrochen.
1962! das ist gerade einmal drei Jahre nachdem der schon erwähnter Joe Zawinul in das Mutterland des Jazz gegangen war. Jede freie Minute nutze er um das nahe Mekka des Jazz, also New York, aufzusuchen. Es war die legendäre Sängerin Sheila Jordan, die Michael das Zimmer ihrer Tochter in ihrer Wohnung zu Besuchszwecken zur Verfügung stellte.... und Sheila in ihrer Grandezza machte ihn bekannt mit Gleichgesinnten wie z.B. George Russell und noch etlichen anderen mehr. Diese Dame ist nicht nur „the singer with the million dollar ears“, wie Charlie Parker sie beschrieb, der übrigens auch desöfteren in ihrem Apartment nächtigte – sondern auch eine Frau, die mindestens 1000 Musiker:innen zusammenbrachte.
1964 war Mantler folgerichtig ein Kämpfer an der vordersten Front der Oktoberrevolution des Jazz im Cellar Cafe in NY (eine Rumpsen, würde man hierzuorts sagen würde, 251 West 91 Strasse), einem viertägigen Festival, das von Bill Dixon organisiert wurde mit Leuten wie Archie Shepp, John Tchicai, Carla & Paul Bley, Jimmy Giuffre, Cecil Taylor, Steve Lacy, Sun Ra oder siehe da Sheila Jordan... Seine damalige Rolle bezeichnet er in einem Interview bescheiden als „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“ gewesen zu sein.
Mantler ergriff die Initiative, gründete die Jazz Composers Orchestra Association, veröffentlichte 1966 seinen Erstling „Communication“ auf Fontana, längst vergriffen, ich habe vor ein paar Jahren ein Exemplar um wohlfeile 250.- € erstanden. 1968 – wie gesagt – die bahnbrechende Einspielung von der es übrigens ein „Update“ gibt, das 2013 hier eingespielt und bei ECM veröffentlicht wurde. Auf diese Einspielung bin ich auch ein bisschen stolz!
Die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen verknüpfte Mantler mit Bemühungen, bessere Arbeitsbedingungen für Musiker:innen zu schaffen: Vertriebsprobleme der JCOA-Platten brachten ihn dazu, 1972 das „New Music Distribution Service“ zu etablieren, eine Vertriebsfirma, die viele unabhängige Plattenlabels bis 1990 unterstützte. 1974 gründete er mit Carla Bley WATT Records, zu dem ein Plattenlabel, Tonstudio und ein Musikverlag gehörten.
Mantler war Mitglied des „Liberation Music Orchestra“ von Charlie Haden und natürlich in den unterschiedlichen Projekten von Carla Bley, begann aber seit 1973 zusehends sich mit der Schnittstelle Sprache und Musik zu beschäftigen und Texte von so illustren Zeitgenossen wie Samuel Beckett, Harold Pinter, Edward Gorey, Paul Auster, Ernst Meister, Giuseppe Ungaretti und auch eigene Texte in unterschiedlichsten Formationen bis hin zum Symphonieorchester zu vertonen. Er hat da auch ein wirklich gutes Händchen was die Auswahl der Stimmen betrifft: Robert Wyatt, Jack Bruce, Marianne Faithfull, Susi Hyldgaard, Monal Larsen, Himiko Paganotti und natürlich – wie gerade gehört – John Greaves & Annie Barbazza.
1991 kehrte er in das Abendland zurück und lebt und arbeitet seitdem in Kopenhagen & Südfrankreich. Zurück in Europa also: Mir gegenüber erwähnte er einmal, dass sein Oeuvre im Vergleich mit anderen Kollegen relativ schmal sei – eine Einschätzung, die neben der Tatsache, dass es ja wohl um Qualität und nicht nur um Quantität geht, auch objektiv zurückgewiesen werden muss. Keine Angst, ich zähle jetzt nicht die ganzen Einspielungen auf, da empfehle ich einen Blick auf seine bestens sortierte Homepage, aber ich sage nur London Symphony Orchestra, Danish Radio Concert Orchestra, Danish Radio Big Band, Radio Symphony Orchestra Frankfurt, Kammerensemble Neue Musik Berlin, NÖ Tonkünstler, Nouvelle Cuisine Big Band, Max Brand Ensemble, Big Band des Norddeutschen Rundfunks Hamburg und dazu noch Arbeiten mit seinem eigenen Chamber Music and Songs Ensemble. Wie sie sich unschwer vorstellen können, ist alleine der organisatorische Aufwand, um die mantlerschen Kompositionsideen zu realisieren, doch sehr beträchtlich – und ich spreche da aus eigener Erfahrung. Wobei: ein relativ einfaches Projekt haben wir hier präsentiert, ein ganz untypisches eigentlich – 2011 „For Two“ ein Duo mit Bjarne Roupé & Per Salo.
Ich zitiere wieder:
„Mike Mantler hat während seiner gesamten Karriere sowohl als Komponist und Performer als auch als Geschäftsmann gearbeitet. Das musste er auch; seine Musik hat keinerlei Zugeständnisse an den Markt gemacht, und um diese Musik an seine Hörer zu bringen, hat er seine eigenen Strategien und Strukturen entwickelt und umgesetzt. Wir sind ihm in dieser Hinsicht zu großem Dank verpflichtet, da er viel dazu beigetragen hat, auch unsere Musik an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn Sie einen Berg versetzen müssen, rufen Sie Mike an.
Wir haben mit Vergnügen auf mehreren von Mikes Aufnahmen mitgearbeitet – seine Musik zu spielen macht viel Spaß. Treue Zuhörer und mehrere Generationen von Interpreten haben unsere Freude geteilt, was Mikes unerschütterliches Festhalten an seiner musikalischen Vision rechtfertigt. Er hat sich in seinem eigenen Tempo in seine eigene Richtung bewegt, und hier sind wir heute alle.“ Dieses Zitat stammt von Carla Bley & Steve Swallow und wurde mir vor kurzem übermittelt
Lieber Michael, ich gratuliere Dir herzlich für diese wohlverdiente Auszeichnung, und besser ein Optimist ohne jede Hoffnung als ein Pessimist ohne jede Rettung...