Meine erste Begegnung mit dem Jazzfest Wien war 1985, als es noch gar nicht so hieß, sondern „Blue Danube Jazz Summit“, und auch nicht in der Bundeshauptstadt stattfand, sondern – man höre und staune – in Hollabrunn. Erstaunt wird da auch ein gewisser Miles Davis gewesen sein, der ebendort auftrat, wie auch Pharoah Sanders, Woody Herman, das Modern Jazz Quartet und, wenn ich mich nicht vollkommen täusche, Keith Jarrett (in einer umfunktionierten Sporthalle). Über den Charme der in der niederösterreichischen Pampa gelegenen Stadt habe ich mir damals als „Saalfeldner“ keine großen Gedanken gemacht, aber ein paar Konzerte blieben mir in Erinnerung – positiv (Modern Jazz Quartet, Astor Piazzolla, Rory Gallagher) und negativ (Weather Update).
Das erste „wirkliche“ Jazzfest Wien fand dann 1991 im sogenannten Messepalast (heute Museumsquartier) statt, mit dem angekündigten Stargast Stan Getz, der sich aber Wochen davor auf eine andere Reise begab. Die drei „Paläste“ im Messequartier trugen Namen berühmter Jazzclubs, nämlich „Village Vanguard“ (Oscar Peterson, Elvin Jones), „Birdland“ (Kip Hanrahan, John Zorn) und „Knitting Factory“ (Archie Shepp, Franz Koglmann). Die „Knitting Factory“ in NY wurde übrigens von John Zorn mitbegründet, wieso er nicht in „seinem“ Club auftrat, ist wohl der „Konzeptstrafe“, die sich die Organisatoren Fritz Thom und Heinz Krassnitzer auferlegten, geschuldet.
1993 gründeten mathias rüegg, Gabriele Mazic, Renald Deppe und ich das Porgy & Bess und hatten zum Jazzfest ein – sagen wir vorsichtig – recht distanziertes Verhältnis, wobei ich dazu sagen muss, dass es Heinz Krassnitzer war, der eine Zusammenarbeit anregte. Wir haben das schlussendlich abgelehnt, weil wir unsere eigenen Inhalte im Rahmen des Jazzfests verwirklichen und nicht als eine weitere Spielstätte des Jazzfests dienen wollten. Danach herrschte jahrelange Sendepause zwischen Jazzfest und P&B, wobei ich auch anmerken möchte, dass es nie einen offenen Konflikt gab, sondern inhaltliche Auffassungsunterschiede, die eine Zusammenarbeit (vorerst) verunmöglichten. Natürlich kritisierten wir den pekuniären Umgang des Jazzfests mit der heimischen Szene (das P&B hatte anno 1993 schon ein Fair-Pay-Modell) bzw. bekrittelten das Programm, aber andererseits gab es auch Highlights wie das Ornette Coleman Quartet (mit Geri Allen am Klavier) oder Abdullah Ibrahim im Volkstheater, oder die wunderbare Shirley Horn in der Staatsoper, oder Archie Shepp und Gato Barbieri im (akustisch sehr schwierig zu bespielenden) Arkadenhof des Rathauses, oder Cecil Taylor solo im Konzerthaus, oder Johnny Griffin in den Kammerspielen der Josefstadt, oder B. B. King auf der gelsenbelasteten Freudenauer Open Air Bühne – just to name a few.
Im „neuen“ P&B kooperierten wir schlussendlich mit dem Jazzfest, beginnend 2002 in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut Wien (Tomasz Stanko, Zbigniew Namyslowski und Kuba Stankiewicz) und endend 2019 mit acht Abenden von Ende Juni bis zum 8. Juli mit Musiker:innen wie José James (der gab, wie sich später herausstellte, tatsächlich das letzte Konzert im Rahmen des Jazzfests), Camilla George, Sarah McCoy, aber auch Georg Graewe und Franz Koglmann.
Die Kooperation begann mit einem Treffen zwischen Heinz Krassnitzer und mir, und da muss man wissen, dass wir nicht gerade als „best buddies“ bezeichnet werden können. Krassnitzer machte Vorschläge bzw. bat mich auch um meine Einschätzung diverser Acts, und so ergab sich tatsächlich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Im Laufe der Zeit entstand gar eine Freundschaft und Heinz Krassnitzer erwarb etliche Jahre lang eine P&B MemberCard und war oft im Club zu Gast. Als er 2013 starb, bedeutete das eine Zäsur, aber nicht das Ende von Jazzfest Wien-Konzerten im Jazz & Musicclub.
Das Ende markierte die Corona-Pandemie. Das Jazzfest reservierte auch für 2020 wie gehabt Termine ab der letzten Juni-Woche und sagte diese nach mehrmaligen Nachfragen sehr spät ab, mit der Begründung, dass Sponsoren absprangen und größere Namen nicht gebucht werden konnten. Wir bespielten diesen Zeitraum übrigens (fast) täglich mit der Serie „The show must go on(line) – Live stream with live audience“. Im folgenden Jahr erfolgte dasselbe Spiel: Termine wurden reserviert mit dem Zusatz, dass diesmal das Jazzfest, wenn auch in abgespeckter Version, jedenfalls stattfinden würde. Ergebnis: siehe 2020. Wir veranstalteten Konzerte mit Kenny Barron, Ambrose Akinmusire, David Murray, Martha High oder James Blood Ulmer – also allesamt Musiker:innen, die wohl auch im Rahmen des Jazzfests auftreten hätten können. 2022 startete der Versuch Nummer 3 mit denselben Voraussetzungen und Ankündigungen wie die Jahre zuvor ... und wie erwartet mit demselben Ergebnis – also kein Jazzfest. 2023 haben wir uns auf das Spiel nicht mehr eingelassen und ein „Jazzfest-Wien-Festival“ im P&B ausgerufen, u. a. mit Magnus Öström, Fred Hersch, Jeff Parker, Bill Evans, Mike Stern, Lakecia Benjamin …
Irgendwann fiel dann auch der austriakischen Jazz-Szene auf, dass das wohl nichts mehr wird mit einem Jazzfest Wien, und so entstanden Diskussionen und es begannen sich Seilschaften zu bilden. Unterschiedliche Gruppierungen sprachen bei der MA7 vor, es gab ja noch das Budget von 250.000 Euro, das alljährlich für das Jazzfest reserviert war. Ein Team um Marina Zettl und Niki Dolp bekam den Zuschlag auf zumindest einen Teil dieses Budgets für einen Testlauf mit dem Titel „Open Jazz Vienna“, das im November 2024 an unterschiedlichen Plätzen stattfinden soll. Nähere Informationen zum Programm liegen noch nicht vor.
Ganz allgemein möchte ich festhalten, dass Wien aufgrund seiner (Jazz-)Geschichte ein Jazzfest verdient – kultur- und gesellschaftspolitisch ist dieses Festival von großer Relevanz. Trotz aller Kritik wurde das Jazzfest Wien international wahrgenommen und anerkannt, was meines Erachtens auch an den Spielstätten lag ‒ und da in erster Linie an der Staatsoper als Austragungsort, was dem Festival international ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verlieh. Außerdem muss man wissen, dass es eine Plattform gibt, die sich „International Jazz Festivals Organization“ nennt und auf der alle international relevanten Festivals vertreten sind. Ihr Präsident heißt übrigens (immer noch) Fritz Thom, ein Präsident ohne Festival also. Diese Organisation tagt im Wesentlichen einmal im Jahr und nominiert die „major players“, die dann auf diesen Festivals auftreten, die natürlich alle relativ zeitnah im Sommer stattfinden. Das hat synergetische Vorteile, weil große Namen für die einzelnen Festivals halbwegs finanzierbar sind, aber auch den Nachteil, dass halt die großen europäischen Festivals ein ähnliches Programm anbieten. Trotzdem, glaubt man den Statistiken des Tourismusverbands, war das Jazzfest mit ein Grund für Urlauber:innen, die Bundeshauptstadt als Destination zu wählen – also das Jazzfest als Wirtschaftsfaktor.
Die IG-Jazz hat reagiert und ihren seit vielen Jahren veranstalteten „Vienna Jazz Floor“ auf Juni/Juli verlegt, um zumindest ein Zeichen zu setzen. Ob das als Ersatz für das Jazzfest durchgeht, wage ich zu bezweifeln. Wie das nun mit „Open Jazz Vienna“, das nun den „Spot“ des „Jazz Floor“ im November bespielt, in Bezug auf die Jazzfest-Nachfolge ist, wird sich weisen. Aber mit Acts, die man auch unterm Jahr in den diversen Wiener Jazz-Locations hören kann, wird man als Festival wohl eher nicht reüssieren. Aber vielleicht kann man diese Initiative zumindest als Initialzündung sehen, um das Jazzfest Wien neu zu erfinden. Möge die Übung gelingen ...