DO 07. – SA 09. Dezember 2017
mathias rüegg ist mir im Traum 3x erschienen
PORTRAIT mathias rüegg – The Arranger
1st Set: Vienna Art Orchestra „The Minimalism Of Erik Satie“
2nd Set: A Winters Journey – Schuberts Winterreise
Lauren Newton (voice), Harry Sokal, Wolfgang Puschnig, Roman Schwaller (reeds), Aneel Somary, Mario Rom (tp), Robert Bachner (tb), Tobias Ennemoser (tuba), Flip Philipp (vibes), Wolfgang Reisinger (perc), mathias rüegg (arr, cond)
Lia Pale (voc, fl, perc), Joris Roelofs (cl, bcl), Ingrid Oberkanins (perc), Hans Strasser (b), mathias rüegg (p, arr)
Traumsequenz 1, 1.Abschnitt
Sein Gewicht als „Prompter“ und „kreative Wucht“, das ab Ende der 1970er Jahre einen enormen Entfaltungsdrang offerierte, für den österreichischen „Jazzreigen“ ab eben jenem vorgenannten Zeitpunkt, infolge dessen der hiesige Jazzhimmel plötzlich wieder voller wunderbar tönender und groovender Saxophone, Trompeten, Posaunen etc. hing, ist hinlänglich abgehandelt worden und bestens dokumentiert. Somit soll an dieser Stelle Unumstößliches und Evolutionäres nicht mit anderen Worten erneut aufbereitet werden. Aus gegebenem Anlass, das Begehen seines 65. Lenzes, richtete das Porgy & Bess seinem Ideenarchitekten zurecht ein dreitägiges Portrait aus. Die „Eröffnungsfanfare“ blies das „like a rolling stone“-Projekt rüeggs, das Vienna Art Orchestra. rüegg wählte hierfür die Wiederaufführung, inklusive Überarbeitungen einiger Stücke, des Programmes aus dem Jahre 1984, das da hieß: „The Minimalism Of Erik Satie“. Er brachte es zuwege, fast alle noch lebenden Mitglieder der Urbesetzung zusammenzutrommeln. Jenes Programm gilt als eines der erfolgreichsten und kann zudem als ambitioniertestes und avanciertestes im VAO-Kanon gewertet werden. Und es hat eigentlich nichts an Gültigkeit und Originalität verloren. Man wähnte sich in einem wunderbaren, ergreifenden Déjà vu-Erlebnis, sich dieser teils kauzigen, bizarren Musik mit ihren, die konstruktivistischen Botenstoffe des Komponisten Satie, kompromisslosester „Agent Provocateur“ der klassischen Musik, geschmacksicher und durchdringend in Jazztexturen transferierten Arrangements, wiederholt zu ergeben. Die Stücke folgen, analog zu Saties Konzeptionen, konzisen Zeitspannen in denen rüegg Assimilationen hinsichtlich der typischen satieschen Eigenheiten, wie ein damals ungewohntes Harmonieverständnis mit radikaler Verschmelzung tonaler und modaler Elemente, ein reduktionistisches Anwenden musikalischer Grundzellen oder eine statische, asymmetrische Repetitionen pflegende, suggestive Ausdruckshaltung, mit jazzspezifischen Formalismen – vertrackte Bewegung, harmonische Dichte, verspielte Polyphonie mit Klangfarbenausrichtung, das Anspornen von Augenblicken der Daseinsintensität - konsolidiert. Letzteres gipfelte in einigen eingedampften, fabulösen Soli, Newton, Puschnig, Sokal, Philipp und Rom(schönes Zeichen, diesen jungen Bilderstürmer einbezogen zu haben) seinen dezidiert erwähnt, wie überhaupt die ganze Umsetzung mit cooler Grandezza vor sich ging. Unter Einbezug einiger Schlenker zu Saties skurrilem Humor, verbal unterstrichen von seinerzeit provozierenden Aussagen Saties, von denen die eine oder andere vorgetragene zuviel des guten war. Satie wollte Musik ohne Sauerkraut, so schrieb dereinst H.K. Gruber in den Linernotes zur LP-Veröffentlichung dieses Programmes, rüegg will Musik ohne Zuckerguss. Ähnlich zu Saties damaligem Ansatz eine neue Ästhetik im Kontrast zur Romantik zu etablieren, erschuf mathias rüegg ein neuartiges Klangbild im Verbund des orchestralen Jazz-Kontextes. Die Geschichte folgte.
Traumsequenz 1, 2.Abschnitt
Die Affinität rüeggs zur Klassik ist ja beileibe nichts Überraschendes. Gemeinsam mit seiner Partnerin Lia Pale hat er es sich in seinem jetzigen, altvorderen Musikerdasein zur Aufgabe gestellt, das Repertoire des romantischen Kunstliedes einer Umdeutung anhand einer jazzidiomatischen Ausleuchtung zu unterziehen. Oder ist es eine prinzipielle harmonische wie rhythmische Ausweitung unter dem Gesichtspunkt heutiger klangästhetischer Hörexegesen? Man könnte sich enttäuscht zeigen angesichts der Konventionalität und Wohltemperiertheit dieser Lesart. Doch Moment, rüegg pflegt in seinem nunmehrigen Lebensabschnitt die Entschleunigung, das Beisichsein, das Ausblenden von Beweisführungen hinsichtlich Erwartungshaltungen. Er konzentriert sich auf innere Bedürfnisse. Eines dieser, in engem Austausch mit Lia Pale, ist die an diesem Abend rekonstruierte „Winterreise“ im Jazzmobil. Wie gehabt arrangiert rüegg auch hier sein eigenes Klangumfeld. In diesem Falle trägt die Musik einen Andante-Charakter in sich. Das zart romantische Flair der schubertschen Vorgabe verschwimmt plötzlich nahtlos mit jazzspezifischer Balladenkunst. Aufgesogen in rüeggs durchdachten Akkordbauten, die die Fährten legen. Bass und Perkussion definieren volltönend bzw. pointilistisch, elegant phrasierend und akzentuierend das Rhythmusgerüst. Dieses Spielfeld beflügelte die Interpretationsphantasie respektive Imaginationskraft von Lia Pale und Roelofs. Pale, auf Dekor verzichtend, gleitete in Besitz eines einehmend strahlenden Timbres schnurstracks die geschmeidigen Melodieverläufen entlang, wobei sie leichthändig, gewichtige Tiefe einbrachte. Der Klarinettist trieb das Melos in improvisatorische Höhen. Da knirschte der Boden ordentlich unter soviel Reiselust.
PORTRAIT mathias rüegg – From the Hippie To The Grey Old Man
1st Set: Once Upon A Time In The Seventies
2nd Set: My Poet´s Love
Wolfram Berger (Rezitation, Stimme), Naima Mazic, Margaux Marielle-Tréhouart, Arne Haubner/ N I M (performance), Wolfgang Puschnig (as), mathias rüegg (p)
Lia Pale (voc, fl, perc), Mario Rom (tp, flh), Ingrid Oberkanins (perc), Hans Strasser (b), mathias rüegg (p, arr)
Traumsequenz 2, 1.Abschnitt
Wir folgen einer Reminiszenz, unsentimental und verklärungsbefreit, mit lachenden Ohren an die Anfänge von rüeggs Zeit in Wien und der Grundsteinlegung des VAO. Eben irgendwann in den 1970er Jahren. Das Kollektiv war damals ein Pool aus Musikern, Tänzerinnen und Poeten, versessen auf multimediale Happenings. Sechs AkteurInnen betrieben am zweiten Abend mit einigem an Hingabe und spritzigem Humor eine kurzweilige Erinnerung. rüegg hatte sehr stimmig inszeniert. Alleine, agierten einleitend die beiden Tänzerinnen Mazic und Tréhouart in einer Choreographie fließender Bewegungen, grazil und in sich ruhend, und infolge mit den Ohren an der Musik. Quasi verbindend las der Schauspieler Wolfram Berger, der wohldosiert den Exzentriker Joe Berger, einer der damals involvierten Poeten, mimte, aus dem unterhaltsamen autobiographischen Textkonvolut von mathias rüegg. Grandios wie er das Stück „jessas na“, des VAOs erster Tonträger, wieder erweckte. rüegg und Puschnig ihrerseits replizierten augenzwinkernd ihre damaligen Dialoge über Stücke wie Coltranes „Naima“, von Dollar Brand, besagtes „Jessas na“ und „Tango From Obango“. Über die vom Klavier eloquent gesetzten Harmonien, breitete Puschnig seine große Erzählkunst aus. Zuzüglich einer emotionalen Gabe, die einem das Herz aufgehen ließ – sein Ton, seine singuläre Phrasierung, seine spontane melodische Erfindungsgabe. Restaurativ war hier nichts.
Traumsequenz 2, 2.Abschnitt
Ab nun standen Texte von zwei der bedeutenden Lyriker der Weltliteratur im Zentrum. Heinrich Heine bzw. Rainer-Maria Rilke. Die von rüegg verfasste, diese Schriftwerke tragende jazzaffine Musik, besaß einiges mehr an rhythmischer Prägnanz. Treibende, afrikanisch inspirierte Rhythmen oder tänzelnde Latin-Grooves ließen die Ereignishaftigkeit aufköcheln. Ein sattes Bassriff mengte sich gelegentlich auch ein. Textinhaltlich bedingt fehlte auch baladesk sinnliches nicht. Lia Pale emotionalisierte die Texte, wieder in englischer Übersetzung, musikalisch mit ungekünstelter Leidenschaft und legte ergänzend ihr Können als Flötistin offen. So trat sie auch ein paar Mal mit der Trompete von Mario Rom in bewegende Diskurse. Der durchmaß wiederum eigene Sphären, wiewohl er nie die Rahmenbedingungen außer Acht ließ. Im Gegenteil, grandiosest dehnte er in seinen Improvisationen jene bis an die Ränder, um sie schlussendlich wieder auf Luftsäulen zu tragen – mit technischem wie musikalischem Wahnwitz. Wie kaum jemand anderer dekonstruiert er respektvoll den Jazz-Mainstream und führt diesen in einen pluralistischen „Freestream“ über. Umspannt wurde das Geschehen vom sensiblen rhythmischen, harmonischen & melodischen Gewissen des Komponisten. Floskelhaftes glitt ihm da nicht aus den Händen und von Dahinplätschern war auch keine Rede. Alter und Askese beflügeln?!
PORTRAIT mathias rüegg – The Composer
1st Set: Kammermusik
2nd Set: The Schumann Songbook
Oliver Schneider (p), Andreas Janke (v), Benjamin Nyffenegger (cello), Thomas Frey (fl), Hubert Kerschbaumer (bcl), Matthias Kronsteiner (basson), Flip Phillip (vibes), Ernst Weissensteiner (b)
Lia Pale (voc, fl, perc), Stano Paluch (v), Ingrid Oberkanins (perc), Hans Strasser (b), mathias rüegg (p, arr)
Traumsequenz 3, 1+2.Abschnitt
Stilpurist war mathias rüegg von jeher nicht. Für Kammermusik brennt er ebenso wie für Jazz. Drei Ensembles, darunter das renommierte Schweizer Trio von Oliver Schnyder, gingen an die Umsetzung seiner dahingehenden Materialerkundungen und dann noch das Update einiger Schumann-Lieder. Der Spannungsgehalt…plopp!! aufgewacht – sorry.
Eine aussagekräftige Bestandsaufnahme über mathias rüeggs breitbandmäßig kreatives Schaffen. Ein gediegenes Fest – nochmals auf allen Ebenen Gratulation.