FR 30. März 2018
Inbrünstige Echtzeit-Prozession
KEIJI HAINO/ HEATHER LEIGH/ PETER BRÖTZMANN
Keiji Haino (g, electronics, voice), Heather Leigh (pedal steel g), Peter Brötzmann (ts, metal cl, tarogato)
„Ein halber Hund kann nicht pinkeln“ - ein unverrückbares brötzmannsches Paradigma. Und diese Entschlossenheit gegenüber jeglicher musikalischer Kastration vertritt, verteidigt, verankert Peter Brötzmann seit fast sechs Jahrzenten unbeirrt energisch in der Jazzcommunity. Dort hat er als stilistischer Monolith ein gewichtiges Stimmrecht. In den letzten Jahren ist die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Pedal Steel Gitarristin Heather Leigh in den Fokus seines Schaffens gerückt. Brötzmann fühlt sich in diesem nun harmonisch konkreteren, schlichteren Umfeld hörbar wohl und davon beflügelt. Das ist das eine. Zum Anderen: Zu den exzentrischen Japanern pflegt er seit ersten Begegnungen eine enge Verbindung. So lud er zum Duo mit Leigh, nach dem vorjährigen Gast, Trompeter Toshinori Kondo, jetzt den wohl mystischten, exzessivst sich äußernden Klangprogressisten Japans. Den in einem völlig eigenen Kosmos treibenden, rigorosen Klangapologeten Keiji Haino. Dieser destillierte aus der Gemengelage einer Hard Rock-Ästhetik verschnitten mit Trash und Noise Idiomen, einerseits in einem Klangenergie-Spiel, andererseits in abstrakter Formalistik Ausdruck findend, eine rare, spezifische Rhetorik. Wie juvenil frisch und zeitnah das Altherren-Gespann zusammenwirkte war beispielhaft und packend – eine fast schon symbiotische Kongruenz ohne determinierte Bindung. Der bejahrte Haudegen an den Blasinstrumenten erteilte Hörerwartungen wieder mal eine ordentliche Abfuhr. Brötzmann dünnte Sturzbäche an Klangballungen, auf die er von der Medienwelt so gerne mit dem abgedroschenen Adjektiv „brötzen“ und der einseitig oberflächlichen, undifferenzierten Analyse eines berserkerhaften Energiespieles reduziert wird, galant aus und vertiefte sich in die im eigene lyrische Wucht von hymnischem wie trockenem Tiefgang. Weitere Nuancierungen dahingehend läutete gleich das Eröffnungsdramolett ein. Über einem schwirrenden Drone der Saiteninstrumente flanierte Brötzmann mit herzerfrischenden Melodiefantasien, die er im weiteren Ereignisverlauf, abwechselnd mit Sanftmut oder multiphoner Räudigkeit, umgarnt von agogischer Diversität, zum Ausdruck brachte. Resonierend, aus seinem singulären Zugang hervorbrechend, schuf Brötzmann in seinem Spiel zudem Platz für die Balladenkunst eines Coleman Hawkins, die Shout-Qualitäten der Texastenoristen hinreichend zur archaischen Ektase Albert Aylers. An den Klarinetten artikulierte er zuweilen beschwörend, mit Anflügen von Klezmer- oder arabischer Färbung. Dieses sein kratzbürstiges, lebensreales Klangrepertoire brachte er sogar in die Nähe von popaffinen Melodiekürzeln, wenn Leigh und Haino in eingängiger Harmonik schwelgten. Beeindruckend allerdings, Brötzmanns unverminderter Energieeinsatz, den er jedoch heute mit souveräner Dosierung ins Treffen führt. Weitere Überraschung bot das konzise Format der frei improvisierte Gesprächsfetzen die Songcharakter in sich trugen. Die Gegenfragen, Antworten, Interventionen zu all dem stellte, lieferte Haino. Unmittelbar, konkretest formuliert warf er seine teils martialischen Äußerungen in die Diskussion. Herausgemeißelt aus seiner Gitarre oder, an die japanische No-Theater Tradition angelehnt, in gutturalen Schreiexzessen verfasst – immer mit synergetischer Zielsetzung. Und Haino spielte gekonnt mit dem Unberechenbaren, der Verstörung. Wenn er beispielsweise wohlklingende, sanftest angeschlagene Akkorde im nächsten Moment unter brachialen, splittrigen Mehrklängen begrub, die folglich in orgiastischen Clustern-Explosionen zerstäubten und plötzlich eine verzaubernd groovende, fette Basslinie, die in ihrer Geschmeidigkeit und ausgefeilten Melodierhythmik, einem Hybrid aus dem Fundus von Jack Bruce und Steve Swallow ähnelt, wie Phönix aus der Asche emporsteigen ließen. Für die wohlfeil temperierte Atmosphäre ließ Heather Leigh aufmerksam zurückhaltend ihre Mühe walten. Allerdings ihre tonraummäßig begrenzten Arpeggienbandwürmer stabilisierten die Aggregatzustände und beförderten das Tun der Partner. Prallten, verwebten sich die Tonkonvolute in der Mikrostruktur vital und ausgelassen auf- und ineinander, wobei sich tonale und atonale Befindlichkeiten gegenseitig aufsogen, wurde die Makrostruktur von symbiotischen Spontaninteraktionen im Einklang mit enormer Sensitivität für stringente Strukturdurchdringungen vorangetrieben. Analyse hin oder her: Was als Essenz schlussendlich aus der Musik sprach, war die dringliche Wahrhaftigkeit des Seins – emotionale Ganzheitlichkeit also.