22. Mai 2018
Von Hannes Schweiger

MO 21. Mai 2018
Aus der Tiefe der Zeit und auf deren Höhe
RANDY WESTON & BILLY HARPER
Randy Weston (p), Billy Harper (ts)

 

GIOVANNI GUIDI „SALIDA“
Giovanni Guidi (p), David Virelles (e-p, electronics), Dezron Douglas (b), Gerald Cleaver (dr)

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Einerseits angesichts der physischen Fitness des 92(!!!) jährigen Jazzgiganten Randy Weston, anderseits ob seiner musikalischen Frische und sprudelnden Imaginationskraft. Der Pianist schöpft auf beeindruckende Weise aus dem Vollen. Hinsichtlich des Lebens wie auch in der Musik – seiner Musik, dem Jazz. Er, einer der Letzten der authentisch auf die BeBop-Revolution anspielen kann, hat unter dem Eindruck von Thelonious Monks rigorosen Innovationen und den Neuerungen der nachfolgenden, umwälzenden Entwicklungsstadien einen eigenständigen Personalstil entwickelt, der vor allem von einer perkussiven Komponente und rhythmischer, fast bis an die Abstraktion ausgeweiteten Flexibilität aufgeladen wird. Hinzu tritt eine harmonische Unorthodoxie im Verbund mit einer kniffligen Melodierhythmik sowie die konsequente Durchforstung des afrikanischen Erbes, deren er einer der ersten war, das er viel strukturbezogener dem Jazzidiom einverleibt, als dies beispielsweise Abdullah Ibrahim betreibt. Zwischenzeitlich hat Weston sein volltönendes Spiel noch weiter ökonomisiert. Er holt die musikalische Substanz und Momentmagie untrüglich an die Oberfläche, entsprechend eine Devise von Miles Davis, die da lautete: „Spiele nicht was du kennst, sonder das, was du nicht kennst“. Jüngst beschenkte Weston damit in einem eindringlichen Diskurs mit dem ihm schon seit langem verbundenen Tenoristen Billy Harper. Der in der Rollins/Coltrane-Nachkommenschaft stehende, zudem durch die rhythmusbetonte Texastenor-Tradition geprägte Musiker hörte jede Idee, jede Wendung Weston von den Fingern ab und formulierte inspirierte Antworten zum Gemeinsamen, begleitet von wunderbaren Off Beat-Drops. Diskussionsgrundlagen waren Weston-Kompositionen, von denen einige schon zu Jazz-Standards avancierten, wie u.a „Little Nils“, „The Healers“ oder „Hi-Fly“. Nonkonform bravourös gliederte der Urheber das harmonische Gefüge der Stücke  auf, setzte die Teile in neue Bezüge, transferiert sie bereichernd in diametrale Regionen. Mittels weiten Intervallsprüngen, hypnotischen Ostinaten, Clusterbewegungen oder schlanken Melismen beschickte Weston das umspannende freitonale Klangfeld. Harper pflanzte in jenes etliche hingebungsvolle Chorusse, speziell die bluesgetränkten erfassten, musste sich aber hin und wieder den Bürden seines Alters, das immerhin auch schon jenseits der 70 liegt, beugen. Doch Weston trieb den Saxophonisten gefühlvoll zu einem grandiosen, integeren „Überfliegen“ im Hier und Jetzt.

Der Abend bescherte noch eine weitere Performance. Inszeniert von dem gefeierten, jungen italienischen Pianisten Giovanni Guidi mit seinem neuen Projekt „Salida“. Formiert mit der allseits gepriesenen Tastenkoryphäe gleicher Generation David Virelles und zwei weiteren Fixgrößen des aktuellen New Yorker Jazzpools. Sehr interessant erschien zunächst die Gegenüberstellung zweier Tasteninstrumente. Vor allem die Tatsache Flügel und E-Piano. So spannend das Konzept und der kreative Ansatz, so durchwachsen erklang die Musikwerdung. Die Musiker schwelgten, enormes Können zu Grunde gelegt, in langen Ereignisbögen, die motivisch unterteilt waren. Den primären Initiator verkörperte dahingehend Guidi, der oftmals spannende Texturen ausbreitete, aber dann hinsichtlich einiger Gestaltungsmittel wie Triller, Tremolos, Glissandi in gewisse Stereotypen verfiel und seine fließenden Improvisationen überspannte. Das Wechselspiel mit Virelles kulminierte zwar immer wieder in Sequenzen polyphoner Raffinessen, doch die Weiterführung in u.a. einem Jazzrock-Kontext, mit Elementen des südafrikanischen Township-Jazz, popmusikalischer Zeitgeistigkeit oder offengehaltenen Kollektivimprovisationen mündete vielfach in Zerrissenheit. Zudem verlieh Virelles E-Piano Sound, mittels Effekten mit einem überspitzten Sustain aufgeladen, dem Klangbild häufig eine diffuse Schattierung. Und auch die Rhythmusachse wirkte gelegentlich uninspiriert und hölzern – sie konnten nicht wirklich Flügel verleihen. Conclusio: Irgendwie wirkte der Trip wie ein austestendes Freispielen; die Band wird sich finden – der Schaffensdrang ist evident.