SO 24. Juni 2018
Offensicht-LEE-ch nimmermüde
LEE KONITZ QUARTET
Lee Konitz (as, voice), Florian Weber (p), Jeremy Stratton (b), George Schuller (dr)
Wie oft in den letzten Jahren hat man ihm, einem der noch glücklicherweise unter uns weilenden Jazzweisen und Schlüsselfiguren der Jazz-Moderne, der problemlos seine 90 Lenze meistert, ein „wahrscheinlich das letzte Mal“ zugeschrieben. Doch der große Lee zeigt allen nur das Saxophon und spielt und spielt und spielt – seit jüngerer Vergangenheit auch singt. So betrat er dann auch völlig entspannt und gut gelaunt, mit einer lässigen Schirmkappe am Haupt, die Bühne. In Begleitung eines Trios geleitet von seinem ehemaligen Studenten dem Deutschen Florian Weber, seit Anfang der 2000er Jahre pflegen Konitz und der Pianist eine kontinuierliche Zusammenarbeit, mit dessen beiden amerikanischen Partnern Jeremy Stratton und George Schuller. Letzter Sohn des legendären Komponisten, Hornisten Gunther Schuller. Konitz setzte gleich einen Paukenschlag, indem er mit humoreskem Unterton das Missgeschick mit seinem Saxophon bei der nachmittäglichen Probe, im Laufe derer es beschädigt und somit unspielbar wurde, verkündete. Demnach musste er mit einem Ersatzinstrument das Auslangen finden, mit dem er seine liebe Not hatte. Weber eröffnete mit lyrisch getränkten Akkordfolgen, die er außerordentlich raumgreifend platzierte, eines nicht verifizierbaren Standards oder Konitz-Originals, was nichts zur Sache tat, welche genau dieser harmonisch, melodischen Entschlacktheit und dem Herausschälen der Quintessenz der konitzschen Ästhetik folgten. Und Weber blieb nicht in etablierten Changes oder definierten Harmoniewechseln hängen, sondern unterzog sie einer ideenvollen, eigenständigen Umgruppierung und Modifizierung und führte sie in seinen feinnervigen Improvisationen aus dem angestammten Revier. Bereichert um rhythmische Weitläufigkeit und subtile Konsonanz/Dissonanz – Reibungen. Fast kongenial zu nennen waren die rhythmischen Reaktionen des Schlagzeugers, der zunächst einmal mit großartiger Klangsensibilität aufzeigte und weiters mit wohlfeilen asymmetrischen Akzentuierungen, permanenten Tempowechsel und Time-Verlagerungen eine differenzierte Bewegungsenergie anstiftete. Umwerfend war auch sein klangfarbennuanciertes Solo, vornehmlich auf Cymbals gespielt, das er aus einem kleinen Schlagmotiv entwickelte und durch fortlaufende Additionen verdichtete - wie aus einem Paul Motian Lehrgang. Verbindlich zwischen Piano und Drums ein stoisch agierender Bassist mit unspektakulären aber griffigen melodischen Kontrapunkten. Welch fantastisch interagierendes Trio, das mit großer Intuitionsfähigkeit Spannung/Entspannung ausforschte und dem Meister seinen fliegenden Teppich ausbreitete. Der mühte sich redlich, war das Umfeld doch ganz im Sinne seiner Errungenschaften, sprach seinem Instrument gut zu, konnte diesem aber letztlich seine Phantasien nicht anvertrauen. Er spielte nur kurze Chorusse, durch die kurzzeitig sein Vermögen durchschimmerte. Kurzerhand machte er sodann aus der Not eine Tugend und vokalisierte sozusagen seine Melodielinien. In seiner unvergleichlichen, sezierenden Art arbeitete er die melodischen Skelette der Stücke, wunderbar bei „Subconscious-Lee“, heraus, paraphrasierte sie, ließ sie improvisierend, im Rahmen, offen herumgeistern.
Es entbehrte dennoch nicht einer gewissen Skurrilität, wenn er mit angerautem Timbre seine „Ia, Ii, Dadada“ besilbten Linien auswarf. Trotzdem immer musikalisch sinn- und gehaltvoll, mit entspanntester Hingabe geschmettert. Aber bei der „Dekonstruktion“ von „Lover Man“ war´s dann doch zuviel des Guten mit der „Sangeskunst“, wenn sich die zudem auch noch auf ein Stimmduett mit dem Pianisten ausweitete. Die Akzeptanz wurde auf eine harte Probe gestellt. Anyway, wenn jemand wie Lee Konitz eine solche innovatorische Geschichte hinter sich hat, besitzt er jegliches Pouvoir um seine Musik zu gestalten. Was für eine Coolness.