15. Dezember 2018
Von Hannes Schweiger

MI 12. Dezember 2018
Variable Konstruktivität bedingt Echtzeitentwurf
GEORG GRAEWE & SONIC FICTION ORCHESTRA
Georg Graewe (p, cond), Frank Gratkowski (a-fl, cl, bcl), Maria Gstättner (basson), Sebi Tramontana (tb), Sara Kowal (harp), Martin Siewert (e-g), Laura Strobl (v), Margarete Herbert (cello), Peter Herbert (b), Wolfgang Reisinger (dr)

Auch für seine vierte Präsentationphase hat Georg Graewe die Basispartitur seines Stageband-Projektes umgeschichtet. Mit genau jenem Feinsinn für Dramaturgie und Überraschungsmomente ließ er aufs neue vorgefertigte Klangbausteine mit Momentkreationen in ergebenster Weise harmonieren. Kein unfreiwilliger Bruch, keine Verirrung in der Kommunikation, keine vordergründige Klanggebärde besetzten je Graewes Konzeption noch die Umsetzung/Freiverwaltung des Ensembles. Wiederum faszinierte der selbstverständliche, kreativitätkitzelnde Synergismus der Tugenden der europäischen Musiktradition und dem Jazzkanon. Ein Elementarfokus im Schaffen des Pianisten, der mit unverminderter Tatkraft an der Ausdifferenzierung seiner außergewöhnlich individuellen, musikentwicklungsgewichtigen Klangsprache als Instrumentalist wie Komponist feilt. An diesem Abend erklommen die „Erfinder“ schon einmal einen ersten Klimax. Vorbereitet mit einem unbegleiteten Piano-Solo. Graewe tauchte es in abstrakt gedachten, unprätentiösen Lyrismus, durchflutet von harmonischen Kühnheiten. Fingerfertig mit federndem, aber um nichts weniger präsenten Anschlag, verdichtete es sich zu einem rauschhaften, unbeschreiblichen Trio mit Herbert und Reisinger. Jetzt illuminierten die rhythmischen und perkussivklanglichen Details nochmals eindringlicher. Apropos Herbert und Reisinger, mit ihren eingedampften, nuancenreichen Klangreden, rückten sie Bass bzw. Schlagzeug-Soli in gänzlich anderes Licht. Ein famoses, klangfarblich unerhörtes, bedachtsam klangenergetisches Duett zwischen Fagott und Bassklarinette erregte sodann die Aufmerksamkeit. Ihre engvernetzte Zweistimmigkeit wurde vom restlichen Ensemble mit punktuellen, dissonanten Interventionen aufgeraut. Derartige weitere Spannungssteigerungen setzte Graewe mit aus dem Ensemblekontext herausgelösten Kleingruppen, die zumeist aus den Vorereignissen ihre intuitiv improvisierten Empfindungen artikulierten. Überwältigend z.B. ein Trio aus Harfe, Posaune und E-Gitarre. Eine elektrisierende Kombination, der am Ende Siewert mit überlegter Attack und einem Klangfüllhorn die Krone aufsetzte. In wunderbarer Balance schwebte auch die Kombination Piano und klassische Saiteninstrumente. Dazwischen immer Auflösungen oder Komprimierungen im Großformat. Auf Basis dieser Wechselwirkungen formte Graewe ein eingeschworenes Kollektiv. Er kann die Musik zusammenballen oder auseinanderfließen lassen ohne sie der Intensität zu berauben. Warum sollte es dann plötzlich nicht ebenso in ellingtonscher Geschmeidigkeit und Eleganz swingen? Das tat es, hinreißend. Graewe ist zu einem musikalischen Modell gelangt, bei dem sich die Nachfrage betreffend komponierten und improvisierten Abschnitten nicht stellt. Wie merkte Pierre Boulez einmal an: „Zwischen Spontanem und Gelehrtem besteht von Natur  aus kein Unterschied….der Impuls kann die Reflexion ebenso anstacheln wie das Kalkül die Geste beleben kann.“ Und Graewe lebt das. Bleibt noch festzuhalten, dass er mit seinem Sonic Fiction Orchestra das derzeit inhaltlich relevanteste großformatige Konzept entworfen hat und zum engsten Kreis wegweisender, zeitgenössischer Jazzkomponisten zu zählen ist. Besser kann man sich nicht empfehlen. Brisante Hörstation.