DI 01. Januar 2019
Burning Minor – hitzige Lässigkeit, kühle Leidenschaft
KARL RATZER QUINTET
Karl Ratzer (g, voc), Franz Koglmann (flh), Ed Neumeister (tb), Peter Herbert (b), Howard Curtis (dr)
Ungebrochene Neugierde bestimmt Karl Ratzers künstlerischen Schaffensdrang nach wie vor. Diesmal eröffnete er den traditionell in seinen Händen liegenden Jahresbeginn mit einer „neuen“ Band. Gedacht war ursprünglich eine Erweiterung der Stammband um eine Person, doch bedingt durch den Ausfall von Saxophonist Johannes Enders, war´s letztendlich wieder ein Quintett. Besagter Neuzugang erfolgte in Gestalt des eigenwilligen Grenzgängers Franz Koglmann. Diesmal ausschließlich am Flügelhorn. Ein im ersten Moment für viele nicht für möglich gehaltenes Zusammentreffen, stehen doch die musikalischen Ansätze dieser beiden prägenden österreichischen Musikerpersönlichkeiten diametral zueinander. Auf der einen Seite Ratzer mit seiner soulgetränkten, „philrockigen“ Jazzseele, auf der anderen, der Kalkül bezogene, zu „heimlicher Liebe zur europäischen Moderne“ neigende Konzeptionist mit viel Jazzsinn, Franz Koglmann. Wiewohl es in beider Vita in Jugendjahren einen Berührungspunkt gab. Mit Bravour wurden alle Zweifel hinweggefegt. Vorbehaltlose Offenheit, große Ohren, Gefühle spüren und spielen, ließen die Musik in der Jazzverwurzelung der beiden aufgehen. Herausforderung, Anregung, Umarmung. Unter den Flügeln eines ganz wesentlichen Faktors: der Improvisation. Vermeintliche Unvereinbarkeiten standen außer Diskussion. Die Magie des Moments, das Vertiefen dabei in den Kern der Musik, unter der Obhut zweier solch´ überlegener Musikerfinder stellte ebenso eine Stilkategorisierung ins Abseits. Soul-Jazz, Rhythm´n´Blues, Neo Hard Bop, S´n´C – zweitrangig. „Call It Anything“ warf einst schon „Jazz-Zeus“ Miles Davis in die Diskussion. Zeitgenössisches Musikschaffen mit Geschichtsverständnis und visionärem Impetus in einem außerordentlichen Schwebezustand „verneujahrte“ das Quintett. Schon das Eröffnungsstück überraschte mit einem sophisticaten, ungewöhnlich abstrakten Monolog Ratzers und einem metrisch gelösten, freitonalen Verlauf. Das trug Koglmanns Handschrift. Man nähert sich bedächtig einer derart losen Konzeption. Fortan swingte sich die Band wieder auf den funky groovenden Nährboden und die soulful Voicings ein. „Neumeisterlich“ in packende Arrangements gegossen. Ratzer-Originale, wie Standards. Ratzers „My Time“ bohrte sich ins Herz. Ed gab außerdem ein „sprechendes“ Wahnsinns Plunger Solo zum Besten. In diesem Umfeld konzentrierte sich Koglmann auf solistische Einwürfe. Bei der Themenpräsentation streute er, wenn überhaupt, nur ausgewählte Töne ein. Schuf aber mit seinen Improvisationen, zumeist von der Funktionsharmonik der Stücke abgekoppelt, eine intuitive Polyphonie unorthodoxer, moll-lastiger Melodielinien und Free Jazz angeregte Klangfarbengesten, die jene bereichernde, verbindlich konterkarierende Ästhetik einbrachten. Ratzer zeigte in seinen Soli, im zweiten Set ließ er ein unfassbares von den Saiten abtropfen, weniger seine Fingerfertigkeit als vielmehr seine Qualitäten einer humanen, vokalen Tongestaltung und eines rhythmisch optimalen Einsetzens bzw. Abklingens von Riffs. Am eindrucksvollsten begegneten sich Ratzer und Koglmann in dem ewigen Klassiker „My Funny Valentine“. Als Duo-Version, die auch das Zusammentreffen Ratzers mit Chet Baker weiterdachte. Und sie gewannen mit einer essenzbedachten Dekonstruktion dem Stück spezifische, melancholisch Facetten ab. Ratzer spielte die roten Blutkörperchen, während Koglmann die komplexen Nervenbahnen einzog. Hinsichtlich der Bewegungsenergie der Band blieb abermals kein Wunsch offen. Herbert bewies wieder einzigartige solistische Ökonomie mit melodischer Nonchalance, als auch kollektive Masseverwaltung erster Güte. Curtis trommelte, nicht mit Sensibilität und emotionaler Kraft sparend, den perkussiven Raster zusammen. Unerschütterlich. Eine geschichteschreibende Begegnung, die einer Weiterführung harrt.
Alte Meister, neuer Glanz.