FR 05. April 2019
Destination: Kashmir und der Dissonanzen-Blues
MÜHLBACHERS USW 5.4.2019
Christian Mühlbacher (dr, perc, comp), Gerald Preinfalk, Fabian Rucker (reeds), Lorenz Raab, Aneel Soomary, Martin Ohrwalder, Martin Eberle (tp, flh), Walter Voglmayr, Alois Eberl, Wolfgang Pfistermüller, Gerald Pöttinger (tb), Cyriak Jäger, Peter Stadlhofer (tuba), Michael Hornek, Martin Reiter, Charly Petermichl (keys, electronics), Peter Rom (e-g), Tibor Kövesdi (e-b), Laurinho Bandeira (perc), Willy Wysoudil (vj), Ronny Matky (sound)
Seit 1997 (hats off) manövriert nun also Christian Mühlbacher, „master of big size sound“, an diesem Tag seinen prall besetzten Bandwaggon USW durch die Stadt. Eingekehrt wird dann längstens schon in einem der zweifelsohne „bessten“ Jazzclubs. Gemeinsam mit Christoph Cech, „another big master“, kultivierte der Schlagzeuger/Komponist in den späten 1980er Jahren auf dem neubestellten Big Band-Flur hierzulande, unter dem bekannten Projektnamen Nouvelle Cousine, eine weitere spezifische Lesart dieser musikalischen „Körperschaft“. Losgelassen hat ihn das großformatige Denken seither nie wieder. Für das dementsprechende, unter seinem Namen firmierende Konzept hat er diesen Zugang abermals einer originellen klangfarblichen Konfiguration zugeführt. Besetzungsmäßig von Mal zu Mal leicht modifiziert. Aber im Grund liegt Mühlbachers Fokus immer auf der Dominanz von Blechblasinstrumenten, konkret den tieflagigen, anhand der er die den Kompositionen innewohnende Wucht, zum Zwecke des Erringens einer muskulösen, grobkörnigen, kollektiv gedeuteten Materialästhetik, auslotet. Ergänzend positioniert sind die Keyboards/Electronics mit harmonisch verdichtenden respektive soundintervenierenden Aufgaben. Detto die Gitarre. Hingegen kontrapunktisch, mit genau dieser kontrastwirksamen Unbeschreiblichkeit, sind die Holzblasinstrumente platziert. Denen auch der Löwenanteil der kurzgehaltenen, an einem vorgegebenen Leitfaden orientierten Soli zugedacht ist, die apriori in Mühlbachers Klangwerk nicht erforderlich prominent herausgestellt sind. Auf dem rhythmischen Sektor bevorzugt er gerade Zweier und Vierer Takte, ornamentiert von latinmäßigen Akzenten der Perkussion. Der Beat unterliegt einem schnörkellosen Rockimpetus. Wahre rhythmische Kapriolen schlägt Mühlbacher in seinen famosen Bläserarrangements. Phantasiestrotzend spielt er in den einzelnen Sections mit divergierenden, komplexen Melodierhythmen, wirbelt abgedrehteste Taktarten durcheinander und gelangt zu majestätischen Polyphonien wie furiosen Orchesterclustern. Mühlbacher improvisiert lieber auf den Partiturblättern und tobt sich in großer Arrangierkunst aus, als das er übermäßig auf spontane Improvisationsentäußerungen baut. Nicht anderes ereignete es sich zur 22. Wiederkehr des 5.4. Pointilistisches Klangsetzten, Splitterklänge, Luftsäulenlautmalereien standen am Beginn des zweistündigen pulsierenden Spannungsbogens. Nach und nach erwuchs daraus eine Art brüllende Brass Rock-Extravaganza (Blood, Sweat & Tears, Chicago[zu deren Kreativzeit] und das Gil Evans Monday Night Orchestra addiert) mit jazzinvolvierter Grundierung. Zwei thematische Hauptbezugspunkte waren diesmal dem Programm einverleibt. Zunächst eine exzellente Version des Led Zeppelin Song-Monsters „Kashmir“, dessen hypnotische Insistenz und polyrhythmische Spielereien Mühlbacher mit martialischen Bläserinszenierungen perfekt umdeutete. Daraus löste sich ein hitziger Neo-Bop Swinger mit Ruck Zuck-Solo von Fabian Rucker am Alt. Zweiter Angelpunkt war ein skurriler Blues, aus dem Labor des Leaders, dem einmal das Zwölftaktschema entzogen und weiters das „Bindegewebe“ aufgeknüpft wurde. Folglich wurden die Blue Notes und deren Harmonisierung ziemlich radikal ihrer tradierten Funktionalität enthoben und in fast schon dodekaphonischer Manier geschreddert. Bizarre Skalen- und Tonartenreibungen, schräglagige Dissonanzen, melodische Abstraktion konfrontieren die Dirtyness mit avantgardistischer Konstruktivität. Preinfalk zelebrierte schließlich in seinem tricky Altosaxsolo die Abstract Truth des Blues. Dazwischen feierten genug andere originelle musikalische Episoden fröhliche Urstände und Lorenz Raab brachte noch einen ergreifend improvisierten, „philosophischen“ Monolog auf dem Flügelhorn ein. Tonsetzungsarchitektur eigenen Zuschnitts, die Christian Mühlbachers Nimbus des findigen, querbeet veranlagten Jazzkompositeurs dreimal unterstreicht, usw.
P.S.: Von den farbintensiven Visuals wähnte man sich häufig in die Psychedelic Era versetzt was situationsweise einen schönen Flash ergab, aber oftmals standen sie außerhalb der Gesamtidee. Das Farbenspiel der Musik ist in letzter Konsequenz optisch nicht darstellbar.