5. Mai 2019
Von Hannes Schweiger

MO 30.04.2019
Unesco International Jazz Day 2019 & Ö1-Jazztag 
Lahme Flugversuche und famose Kühnheiten
ROLF & JOACHIM KÜHN DUO
Rolf Kühn (cl), Joachim Kühn (p)

BIRDS AGAINST HURRICANES
Alex Pinter (e-g, ukulele), Viola Hammer (p), Christian Bakanic (acc), Gast: Simon Frick (v)

Mit gerüttelt Maß an Engagement hat die Ö1-Jazzredaktion es auch diesjährig abermals geschafft im Rahmen des UNESCO International Jazz Days den Ö1-Jazztag auszurufen. Dieser löblichen Initiative sind fast alle Sendeformate, inhaltlich mal biederer mal avancierter gefolgt. Höhepunkt ist dann stets die Organisations-Kooperation des Jazzsenders ihres Vertrauens vieler HörerInnen mit dem Jazzclub ihres Vertrauens vieler Interessierter. Das musikalisch Entstehende wurde live, ebenso von diversen europäischen, in der EBU vertretenen Ländern übernommen, unter dem Sendungstitel  „On Stage“ übertragen. Gebot im Zuge dessen ist, einen Act der kreativ förmlich explodierenden österreichischen Jazzszene, einem internationalen Projekt profilierter Jazzgrößen gegenüber zu stellen. Nur heuer hat sich die Leitung der Ö1-Jazzredaktion betreffend ersterem, doch ziemlich „verhört“. Angesichts des nun schon seit vielen Jahren nicht zu überhörenden, hochwertigen Potentials des jüngeren Jazz-Zirkels hierzulande, dem ja die Jazzredaktion genauso ein Ohr leiht bzw. von anderer Seite Hörenswertes daraus empfohlen bekommt, ein derart farbloses, aussagebefreites (der Gruppenname würde ja einige Folgerungen zulassen) Ensemble auf die qualitätsgewohnte Bühne des Porgy & Bess zu holen, entbehrt jedweder Nachvollziehbarkeit. Erstaunlicherweise eröffnet dieses Ensemble, Birds Against Hurricanes mit Namen, noch dazu mit ihrem Tonträgerdebut das reaktivierte (gute Sache) Ö1-Jazzlabel/Jazz Contemporary. Man weiß nicht welch glückliche Umstände sich da fügten. Unverständlich bleibt jenes Geschehnis gleichermaßen. Sidestep: Birds Against Hurricanes flatterten in einem geschützten Areal aus überstrapazierten World Music Klischees, inklusive des bemühten Versuches mit ein paar altgedienten jazzharmonischen Progressionen Auftrieb zu gewinnen, ohne erkennbare Zielsetzung umher. Sicher vor jeglichen Windböen, von Hurricanes wollen wir gar nicht sprechen. Stimmung, Dynamik, Bewegungsprofil – alles im ma non troppo-Modus. Übung misslungen. Apropos Ö1-Jazzlabel noch eine Nachricht von Interesse: ab nächstem Jahr ist eine Vinylreihe mit Aufnahmen aus dem Archive geplant. Den Anfang soll ein Konzertmitschnitt aus dem Jahre 1967 mit dem Dave Brubeck Trio machen. Doch dann, nach der Pause, in der der Gewinner des diesjährigen Jam Music Lab/Ö1-Jazzstipendiums, der oberösterreichische Schlagzeuger Lukas Aichinger, vorgestellt wurde, brach ein wahrlicher, schier magisch wirbelnder Klangsturm los. Von der Intensität und der Qualität des musikalischen Konzentrats her, auf einer nach oben offenen Skala. Die „Sturmboten“: Rolf und Joachim Kühn. Zwei Koryphäen des europäisch kultivierten Jazz, die diesen seit Mitte der 1960er Jahre in all seinen Entwicklungsstadien mitgestaltet und ausformuliert haben und noch immer mit einer Agilität sondergleichen der Gegenwart den Ton spielen. Die beiden wissenden Brüder, für die Alter anscheinend eine rein abstrakte, zeitliche Kategorie zu sein scheint, pflegen, jegliche Erwartungshaltung negierend, freie Improvisation in einem äußerst elastischen Bindungskontext. Nicht das tradierte Changes/Chorus-Prinzip wurde verwaltet, sondern die Kühns suchten/fanden formalistische Wege dazwischen, die beider ausgeprägten Eigensinn für das Jazz-Postulat und den daraus ersonnenen Individualraster eindringlichst zu Gehör brachten. Vornehmlich von eigenen Motiven ausgehend, fabulierten beide ihre Improvisationen entlang modaler Entwicklungen die tonale Zentren als Bezugspunkte aufwiesen. Genauso gut konnten die Bündelungen subtil aus der Umlaufbahn geworfen werden. Jeder trieb zwar in seinem Kontinuum, worin er das für sich Gültige ausleuchtete, jedoch die kühnsche Kunst besteht darin, begleitet von kontrapunktischem Raffinement, durchtriebenen rhythmischen Querverstrebungen und grandiosem Off-Beat Gespür, diese Spielhaltungen beflügelnd aufeinander prallen bzw. als gemeinsame Lesart durchwirken zu lassen. Sie musizierten mit einer immanenten Konzentration, sodass die Klangfarben in feinstmöglichem Abstufungsverhältnis zueinander standen. Joachim Kühn führte in seinen harmonischen Turmbauten Analogien europäischer Romantik und des Impressionismus mit der Jazz-Liberalität einmalig zusammen, während Rolf mit seinem reduzierten, melodischen Impetus klarlegte, wieso er den Sprung vom Swing Stilisten zum aufgeklärten Modernisten machte. Optimale Gegebenheiten, die dem Interplay der Kühns  unaufhörlich sich neu ausrichtende Möglichkeiten boten. Das kulminierte in einer intuitiv durchdachten Dramaturgie, die das Entstehen eines vielschichtigen Gewebes von sublimen Explosionen nie in Stillstand geraten ließ. Zu guter Letzt stöberten die Twins mit viel Herzblut und respektvollem Gestus in den Binnenstrukturen zweier Fremdwerke. Zum einen in dem All Time Standard „Body And Soul“, und zum anderem in einem weiteren Ornette Coleman Geniestreich, „Research Has No Limits“. Mehr wie diese beiden Titel implizieren, bräuchte man über die Musik der Kühns eigentlich nicht formulieren. Tiefgründiger White talk about a black-based philosophy. Eine überwältigende Jazzstunde macht noch keinen Jazztag, aber Grund dessen was die Kühns boten, war es fast so.