22. Mai 2019
Von Hannes Schweiger

MO 20. Mai 2019
Musique essentielle, touchant et vraiment
CARLA BLEY TRIOS
Carla Bley (p), Steve Swallow (e-b), Andy Sheppard (ts, ss)

Bereits Anfang der 1960er Jahre konstatierte der als exzentrischer Zappa-Keyboarder bekanntgewordene Don Preston im Zuge nächtelanger Sessions mit Carla und ihrem damaligen Ehepartner Paul Bley: „Carla besaß eine unglaubliche Fantasie und spielte Sachen, auf die Paul und ich nie gekommen wären.“ Alsbald horchte die „Jazz-Männerwelt“ auf und Carla Bley beschritt ihren Weg zur herausragenden und eigenwilligsten Jazzkomposition-Persönlichkeit der aufbrechenden Free Jazz-Bewegung jenes Jahrzehnts. Doch sie trieb eine stilentkräftende musikalische Vision, immer vom Jazzenthusiasmus beseelt, voran und entwickelte eine singuläre Deklinationsweise von Einflüssen der europäisch/amerikanischen Klassik-Moderne mit Weill/Eisler-Schwerpunkt, des Rockidioms, ausgewählten folkloristischen Materials wie auch der amerikanischen Tin-Pan-Alley Tradition. Carla Bleys knifflige Kompositionen, veredelt durch unorthodoxe, satirisch humoreske Arrangements, fanden reichlichen Zuspruch unter Musikern – von z.B. Jimmy Giuffre, George Russell über Art Farmer bis Gary Burton. Das ist bis in die Gegenwart so geblieben. Der Rest ist glorreichste Jazzgeschichte. Mit fortschreitendem Alter wurde die Jazz-Doyenne zusehends/-hörends reduktionistischer. Nicht nur, dass sie das line up ihrer Projekte entschlackte, ebenso tat sie es mit ihrer Musik. Demnach liegt ihr Fokus seit einigen Jahren auf der Arbeit mit ihrem Trio. Unermüdlich generiert sie für dieses neue Kompositionen. Selbst ein schwerer gesundheitlicher Rückschlag im vergangenen Jahr, lähmte ihren Kreativdrang nicht. Sie wirkte frisch und spiellaunig wie schon lange nicht und im Gepäck hatte das Trio großteils Novelty-Werke der Musikerin. Vornehmlich dreiteilige Suiten mit Capriccio-Charakter, verschränkt mit moderaten Tempi. In unverkennbarer Typologie: Verschachtelte ineinandermontierte Kompositionsteile, die sich konsonant wie dissonant, moll-/durlastig, tonal gebunden oder freitonal verzweigend abtauschen, zusätzlich aber notwendige Freiräume für individuelle, bedingende Improvisationen bereithalten. Die innewohnende spannungsimmanente Sprödigkeit, Verschrobenheit des bleyschen Klanguniversums wirkten im Trio umso eindringlicher. Infolge der außerordentlichen Sensibilität des Interplays, illuminierte das fantasiedurchwirkte Melos, das Bley zu feinstofflichen Polyphonien verwebt, in sperriger Schönheit. Kaum jemand ist tiefer verankert in Carla Bleys Musik als Swallow und Sheppard und somit trefflicher geeignet all die detaillierten Nuancen herauszukitzeln. Swallow, ein Solitär am E-Bass und auch einer der großen Jazzgeschichteschreiber, entwarf seine solistischen Melismen mit Umsicht, gab der Time die unverrückbare Taktung; in ausgedehntem rubato wie periodisch swingend. Genüsslich platzierte Bley ihre kauzigen „Zwischen-Zeit“-Gesten hinein. Die monksche Harmonie/Melodie-Unorthodoxie, genauso wie der abstrakt kammermusikalische Ansatz von Jimmy Giuffre lebt in ihren Eigenheiten relevant weiter. Ersteres umwerfend belegt durch eine grandiose „Coverversion“ von „Mysterioso“. Sheppard formuliert in höchst inspiriertem Spiel seine Wertschätzung für Carla Bleys Klangwelten. Und immer wieder blitzte charmanter Humor durch. Unter anderem in einer relaxten Bluessequenz oder bei Harmoniefortschreitungen mit Musical- oder popmusikalischen Einstreuungen. Das Spätwerk von Carla Bley geht besonders ans Herz, labsalt die Seele ausnehmend. Escalator to the top.