18. Juni 2019
Von Hannes Schweiger

MI 12. Juni 2019
Großes schwarzes Erbe
THE AZAR LAWRENCE EXPERIENCE
Azar Lawrence (ts, ss), Brian Swartz (flh, tp), Theo Saunders (keys), Dimitris Mahlis (e-g), Gerald Brown (e-b), Yayo Morales (dr), Babatunde Lea (perc)

Brodelnde, polyrhythmische Klangmassen, von der Afro-Latin Tradition gespeist, raffiniert den Beat umspielend, als auch ungerade Taktarten forcierend, erhitzten die Luft. Der Rest der Textur: harmonisch schnörkellos modal, geradlinig melodisch – partizipativ mit Gospel- und Soulassoziationen hantierend. Ohne Umschweife breitete sich darüber ein außerordentlich beherzt und vital aufspielender Azar Lawrence aus. Zumeist aus unisono mit dem Trompeter ausgeführten, eingängigen Themen, in bester Hard Bop-Manier, entwickelte der Saxophonist ausladende Improvisationen. Im Ton mächtig und gehaltvoll, wendig durch die Skalen gleitend, dabei das tonale System weitestgehend auslotend, verlagert auf lineare Gestaltungsprinzipien. Mit überlegtem Einsatz von Multiphonics und Überblaseffekten schliff Lawrence überraschende Kanten zu, die die Spannung entsprechend aufluden. Ideen gingen ihm nicht aus. Ebenso wenig dem sehr guten Blechbläser, der inspiriertest, vornämlich auf dem Flügelhorn solierte. Die restliche Band, sozusagen die Rhythmusabteilung, ließ in ihrem Drive keine Sekunde nach. Vielmehr agierte sie geschickt mit klanglichen Nuancierungen, Tempo- und Dynamikverlagerungen. Gerade die Achse Drums, E-Bass, Percussion brillierte mit mehrschichtiger Bewegungsenergie. Bassist Gerald Brown war der ausgewiesene Groovemaster. Er packte zudem die lange nicht gehörte Slaptechnik aus. Das erhöhte dann schon explizit den Druck. Vom unbändigen Sog profitierten auch der Pianist und der Gitarrist in mitreißenden Monologen, die gelegentlich mit Rockekstase flirteten. Homogenität in jeder Fortschreitungsphase zeichnet diese erstklassige Band aus. Zentraler Akteur blieb der Leader, der nach der Hälfte an Impulsivität zulegte, was eindringlich auf seine Partner rückwirkte. Sprudelnde, chromatische Klangkaskaden, die er durchdacht mit Kurzmotiven gliederte, folgten eine auf die andere. Die hymnische Inbrunst ging jetzt richtig auf, tauchte in hypnotische Repetitionen ein, feierte aber auch die schwebende Qualität meditativer Momente. Denen folgte umgehend abermals die differenziert strukturierte, rhythmische Kollektivwucht in afrikanisch-südamerikanischer Färbung. Bezugspunkte bleiben für Azar Lawrence die modalen Jazzerrungenschaften John Coltranes voll des meditativen Tiefgangs, metaphysischer Konzepte und der Spiritualität. Dieses Vermächtnis pflegt er mit Wahrhaftigkeit und in tradierter Diktion. Hat aber seine eigene Wegbarkeit gefunden, die er konsequent lebt. Durch die Improvisation, die Jetzt-Befindlichkeit, besitzt die Musik zudem unzweifelhafte Relevanz, die, bezogen auf diese jazzspezifische Art der Klanglichkeit und  Formplanung, jene „jazzrettende“ (was immer das heißen mag) aktuell gehypete  Relevanz eines Kamasi Washington bei weitem überflügelt.