4. November 2019
Von Hannes Schweiger

MI 30. Oktober 2019
Zeitgeschehnisse
WOLFGANG REISINGER QUARTET
Wolfgang Reisinger (dr, perc, electronics), Mario Rom (tp), Sebastiano Tramontana (tb), Christian Weber (b)

Unter das Motto, die Anregung “Time No Time” stellt Wolfgang Reisinger, österreichische Schlagzeugkapazunder der Sonderklasse und einer der klangbewusstesten Trommelkünstler des zeitgenössischen Jazzhauses, mit gelegentlichen Hausbesuchen bei der Neuen Musik, sein derzeitiges Herzensprojekt. Time ist für den schlagwerkenden Musiker/Musikerin das basisbildende Um und Auf, sozusagen das Manna. Daraus erwächst das Rhythmusgespür hinsichtlich des Spannungsvermögens der Phrasierung bzw. des Verlautens der Klanglichkeit sowie des kontinuierlichen Markierens des Beats. Aber die Time kann genauso gut der periodischen Eingrenzung enthoben werden – Time Out. Dann geht es um das Erzeugen einer aperiodischen Pulsation in Form eines an- und abschwellenden Rhythmusgewebes. Reisiger vereint erwähnte Fähigkeiten bravourös in seinem immer ausdifferenzierter werdenden Spiel und fügt weitere, als die wären melodische Intuition, dynamische Nuanciertheit, raumschaffende Sensibilität, hinzu. Durchdrungen von emotionalem Nachdruck, entfaltet auf einem klanglich superb gestimmten Drumset dem er gewitzt austariert, zusätzlich elektronische Sounds als ensemblestrukturierendes Zubrot beifügte. Der Titel kann jedoch auch als Verweis auf eine in diversen Lebensbereichen vorherrschende Unzeit gedeutet werden. Ist Reisinger doch ein hellhöriger Zeitgenosse. In seiner neuen Quartettmusik konzentriert sich Reisinger auf ein gewisses Innehalten im Zeitfluss. Das Setzen von Pausen in unterschiedlicher Ausdehnung ist ein wesentlicher dramaturgischer Aspekt. Bewusstheit steckte hinter jedem seiner Schläge. So deutete er Timekeeping mit wenigen Cymbalschlägen an oder ließ es oftmals nur gefühlt zwischen Akzentuierungen stattfinden. Tempo rubato überwiegt. Strikte metrische Ordnung, rhythmische Regulierungen verpasste der Schlagzeuger der Musik ebenfalls nicht. Deren Ereignishaftigkeit, gleichfalls Melodik und Harmonik betreffend, findet in offener Form statt. Auch scheinen determinierte Materialvorgaben in nur spartanischem Ausmaß, dennoch mit lenkendem Impetus, zur Anwendung zu kommen. Auslösend ist ein vierpoliger freier Improvisationsverlauf von besonderer Interaktionsdichte. Daraus resultierte eine feinstoffliche Faktur, die Reisinger mit den genau richtigen Partnern in einem permanenten Veränderungsstatus hielt. Kontemplativ wogten die freitonalen Klangströme, die detto mit Genauigkeit in mikrotonale Sphären vordrangen. Trompetenlichtgestalt Mario Rom fungierte, zwischen lyrisch und sperrig formulierend, als melodischer Angelpunkt – ein schier unbegrenzt erfindender Fantast. Zusammen mit dem urigen Posaunenstilisten Tramontana, der ein ausgefeiltes, expandierendes Klangfarbenspiel präferiert, entfachte Rom Hochspannung mit paralleler Zweistimmigkeit oder durch aufregenden Reibungsgrad. Mit in sich ruhender, beständiger Melodierhythmik und Eigenklang verknüpfte der Schweizer Bassist Christian Weber effizient die Pendelbewegungen zwischen in and out Zeitverschiebungen. Kollektivverantwortete Klanglabyrinthe die haufenweise Überraschungen aufzubieten hatten. Mit der Zeit wird Wirkmächtiges ausreifen.