FR 15. November 2019
Bissigkeit des Schönklangs
MICHEL PORTAL & ROBERTO NEGRO
Michel Portal (ss, bcl), Roberto Negro (p)
Der große Michel Portal ist auch schon eine gefühlte Ewigkeit eine der treibenden Kräfte zeitgenössischer Musikgenese. In umfassender Vielfalt. Das Chanson wusste der Franzose mit dem Eigenen ebenso zu bereichern wie Klassikinterpretationen oder Experimente im Umfeld von Neuer Musik und Jazz. Ein Stilist extraordinaire und dezidiert visionärer Fährtenleger der europäischen Jazzevolution. Sein Spiel ist ein pluralistisches Exploratorium. Hellwach in jeder Situation, kreativ und rastlos in jeder Geste, überlegt und interaktiv in jedem Handeln. Zu Duo-Situationen entwickelte Portal im Laufe seines Musikerlebens einen doch ausgeprägteren Hang. Er suchte sie z.B. mit dem Drummer Bernard Lubat, mit Martial Solal, mit Richard Galliano. Gegenwärtig pflegt er den Dialog mit dem italienischen Pianisten. Bemerkenswert die Vitalität des 1935 geborenen Portal. Ab dem ersten Augenblick empfand man sich von der Lebensenergie und Spielfreude des Multiinstrumentalisten mitgerissen. Selbst seinen jungen Partner wusste er immer wieder zu überraschen. Durch fein skizzierten Hang zum Theatralischen aber vorrangig natürlich musikalisch. Die Musik formte, verflüchtigte sich im Wesentlichen aus der Praxis von Spontanassoziationen heraus. Konzipierte Vorgaben fungierten als funktionale Anreger. Hervorstechend war die ausgespielte melodische Komplexität in den Duetten. Portal schüttete seine melodische Genialität ohne Zurückhaltung aus. Aufregend kontrapunktisch ließ er diese, entweder vorgegeben oder freifliegend, an den harmonischen Progressionen respektive differenten Melodielinien des Pianisten entlang gleiten. Auf dem Sopransaxophon mit tänzelnder Scharfkantigkeit, auf der Bassklarinette - als einer der wenigen nach Dolphy entwickelte Portal auf diesem Instrument ein persönliches Profil bzw. spieltechnische Neuerungen - einerseits magnetische Ostinate auslegend, andererseits tiefenrauschende Ornamente singend. Wörtlich gemeint ebenso, als Portal dies mit der mundstückbefreiten Bassklarinette tat. Negro griff gerne auf treibende chromatische Ostinate zu, brach damit einen energischen Drive mit einem gewissen Rocktouch vom Zaun. Portal nahm sich heraus, warf kurze Themenfragmente ein, mengte kleine Geräuschfetzen hinzu. Unsentimentale Rare Beauty beider Melodiefundus, die der Tonalität verblüffend unverbrauchtes abgewann, befand sich sodann wieder im Nukleus. Virtuosität war hier auf beiden Seiten musikimmanentes Werkzeug, nie Schaustellung. Zu zwingender Ideenordnung trat noch eine bilderstürmende Narrativität hinzu. Das vermeintlich erste Set war vorüber. Aber es wäre von ihnen nur eines angedacht gewesen, verkündeten die Musiker als sie der Tatsache gewahr wurden, dass das Publikum eine Pausenposition einnahm, und auf die Bühne zurückkehrten. Mit größtem Vergnügen setzten Portal und Negro zwei weitere grandios kantable, freie Improvisationen auf – Fin. Maître de l´art sonore.