11. Dezember 2019
Von Hannes Schweiger

FR  06. Dezember 2019
Rohdiamant im Großformat – ein klangsüchtiger Elefant
RALPH MOTHWURF ORCHESTRA
Ralph Mothwurf (cond, comp), Maria Holzeis-Augustin, Benjamin Tabatabai (fl), Vincent Pongracz, Christopher Haritzer (cl, bcl), Astrid Wiesinger, Anna Tsombanis, Vicy Pfeil (saxes), Birgit Eibisberger, Laila Schubert (horn), Christian Hollensteiner, Martin Eberle, Markus Pechmann (tp), Clemens Hofer, Georg Schrattenholzer (tb), Tobias Ennemoser (tuba), Irena Manolova (vibes, marimba), Peter Rom (g), Mike Tiefenbacher (p, keys), Tobias Vedovelli (e-b, acc-b), Valentin Duit (dr)

Allen ökonomischen Widrigkeiten zum Trotz, auf die Gefahr hin in einer roten Wüste zu darben, fällt die orchestrale Soundarchitektur derzeit überall auf fruchtbaren Boden. Die diesbezüglich verdienstvollen „Alten“, von hinlänglicher Bekanntheit, haben jene Basis gehaltvollst aufbereitet und mit genügend Anregungen gespickt. Gleichfalls hierzulande sprießen unter der gestreut jazzaffinen Nachkommenschaft dementsprechende Visionen. Einer mit den  vielleicht auffallend selbstständigsten Ansätzen ist der in Linz geborene Ralph Mothwurf. Musiker, Komponist, Gitarrist. Jongleur der musikalischen Diktionen, ein EUphoriker, der diese auch intelligent verlinkt. Belegt durch Werke für klassische Ensembles, das Slam/Rap/Jazz-Projekt Yasmo & die Klangkantine oder jüngst und am explizitesten mit seinem Orchestra. Kapitel 1 seiner orchestralen Werksammlung wurde an diesem Abend erstmals realisiert (an dem Ort wo die Großensembles mit Jazzneigung zuhause sind). Mit zweiundzwanzig Stimmen ungewöhnlich ausladend instrumentiert wie unkonventionell besetzt. Und keine Stimme war zuviel. Die Stimmen gehören jungen, aufgeschlossenen MusikerInnen des Jazz- und Klassikzirkels. Klug austariert gestaltet Mothwurf das Ineinandergreifen von flächigen Klangausdehnungen und heftigen Aggregatzuständen. Letztere von teils tobender rhythmischer Intensität geleitet - fettem Rock-Drive ebenso zugeneigt wie formal elastischem Jazzgroove. Mit nicht allzu komplizierten Taktverstrickungen. Ausgesprochen individuell die erlangte Syntax. Wichtiges Element in Mothwurfs Geometrie stellen Repetitionsparameter dar. Einerseits als Bass-Ostinate, ab und an zuzüglich der Malletinstrumente, in Hookline-Funktion oder repetitive Orchesterpattern andererseits. Gefolgt von beständigen, kleinteiligen polyrhythmischen Überlagerungen bzw. gewitzter Kontrapunktik. Einer Langatmigkeit der Wiederholungslogik entgeht der Komponist  geschickt mit einer ihm wichtigen gestischen Variabilität, konträren Brüchen, polyphoner Bewegtheit sowie rhythmischem Morphing. Eingebettet in ein transidiomatisches System, welches sich keiner klanglichen, harmonischen Region verschließt. So erhoben sich etliche Stücke aus statischen, glissandierenden Klangfeldern denen eine quecksilbrige Statik zu eigen ist. Komponiert nach dem Prinzip der Kristallisation. Analogien zu Ligetis irisierenden Klangflächen sind präsent. Traditionelle Hierarchien musikalischer Parameter außer Kraft gesetzt. Der Sound steht im Zentrum. Der an und für sich ein hervorstechendes Spezifikum des Orchesters ist. Ein enorm präzise realisierender, geschlossener Klangkörper. Dem die Lust an diesem Klangszenario ins Gesicht geschrieben ist. Doch der klanglichen Sondierung Mothwurfs entspricht die texturale Progression. Weite chromatische Intervallik setzte ein, klangfarbliche Extravaganz. Türme aus Klang standen da, stellenweise war die Körperlichkeit fast greifbar. Da zeigten gelegentlich Affinitäten zu Zappas „Grand Wazoo“ auf. Es bebte, es detonierte, der Flut folgte wieder die Ebbe. Spiegelglatte Klangflächen, die unter der Oberfläche austreiben, voller Neugierde stecken, zu vielversprechenden Phantasmen zusammenwachsen, immer Substanzielles erklingen lassen, sich nach vor wagen und erneut eruptieren. Der Komponist vermittelt mit seinen Konstrukten viel mehr die Er-Öffnung von Möglichkeiten, denn die Exekution von Festgeschriebenem. Was sich an der Stimulans der Stücke hinsichtlich der Solisten festmachen ließ. Sie entwickelten ihre improvisatorischen Imaginationen als organischer Teil der Kompositionen. Bannend jede(r) der gefeaturten MusikerInnen. Zwei stachen allerdings besonders hervor. Die famose Altsaxophonistin Astrid Wiesinger, energetisch wie verquer lyrisch, extrem flexibel in Phrasierung, Artikulation und Ausdruck, prägnant skizziert ihr strotzender Ton – sehr singulär. Die gewichtigste neue Saxophonstimme. Der „Trompeten-Explorateur“ Martin Eberle. Unlimitiert hinsichtlich Technik und Ideenreservoire. Mothwurf lässt in seinem durchorganisierten Klangmaterial keine Automatik aufkeimen, oder gar Unfreiheit. Spielt versiert mit der Dialektik zwischen Ordnung und spontaner Intuition und nimmt fortwährend Bedacht auf die Formulierung der Verbindungen der Idiome. Allusionen an die Musikgeschichte handhabt er mit Respekt und vorwärtsdrängender Notwendigkeit. Das führt geradewegs zu seinen ausgeprägt individuellen Usancen. Mothwurf macht „Noten mit Fähnchen“. Exzellenter Wurf.