28. Januar 2020
Von Hannes Schweiger

DO 23. Januar 2020
This Is Their Music… played by
BROKEN SHADOWS feat. BERNE, SPEED, ANDERSON & KING
Tim Berne (as), Chris Speed (ts), Reid Anderson (b), Dave King (dr)

Die Ornette Coleman Komposition „Broken Shadows“, die für dieses, gleich vorweg gesagt exzellente Quartett namentlich Pate steht, wurde im Zuge der Aufnahmesession für die LP „Science Fiction“ (1971) in fast Double Quartett-Besetzung (ein Bassist minus) eingespielt. Da die Plattenfirma CBS vor einer weiteren Veröffentlichung den Vertrag mit Coleman auflöste, wurde das Stück zusammen mit anderen Aufnahmen aus dem Archiv erst Jahre später auf einer CBS Compilation-Edition, gleichfalls mit dem Titel „Broken Shadows“, veröffentlicht. Soviel zum äußerlichen, aber den vier markanten Charakteren/Stilisten der progressiven Jazz-Gegenwart, liegt primär die eigenbestimmte Neuvermessung der weitergedachten und weitreichenden Jazz-Innovationen  Ornette Colemans und dessen epochalem Quartett zu Beginn der 1960er Jahre am Herzen. Sowie der Musik enger Partner bzw. „Schüler“, die da wären Charlie Haden, Dewey Redman, Julius Hemphill. Allesamt mit Südstaaten-Wurzeln. Auch auf diesen Aspekt möchte das Quartett verweisen – knietief im Blues, die folkloristische Ader. Immer noch geistert, fällt der Name Ornette Coleman, die Zuschreibung „Free Jazz-Pionier“ u.ä. durch den Raum. Die Oberflächlichkeit besteht nach wie vor, beruhend auf vielerlei Fehleinschätzungen. Coleman, der in einem Interview betonte: „Ich habe die Musik, die ich schrieb, nie Free Jazz genannt“, obwohl er ein Stück mit dem Titel „Free“ bezeichnete (laut Coleman eine vorgabenfreie Kollektivimprovisation), spielte mit vielerlei Regulativen, auch jazztraditioneller Herkunft. Zwar löste er sich einerseits in seinem Spiel von einigen sehr strikt, aber der entscheidende „Befreiungsschritt“ Colemans war jener, dass er sich von einer dominierenden Harmonieführung abwandte. Das entsprach seinem Ansatz vom Wesen der Improvisation, wodurch durch diese Form erst geschaffen werden soll und nicht umgekehrt. Seine Themen, die in jedweder Hinsicht, klar strukturiert sind, stehen für sich. Sind nicht generell Leitfaden für die Improvisation, regen aber eine entsprechende Idiomatik an. Ein Bezug zwischen beiden ist jedoch nicht ausgeschlossen. Auch rhythmisch, trotz eindeutiger Beatbezogenheit, wurde vieles intuitiv erfunden. Der bestimmende Punkt in Colemans Konzept ist das Aufeinander-Hören, Reagieren. Und Coleman setzte auf die Autonomie von Harmonik, Melodik, Rhythmik (der Grundstein der „Harmolodics“-Theorie wurde hier gelegt) – gleichwertige Gestaltungsmittel seiner Musik, womit eine gewisse innere Ordnung immer gegenwärtig war. Weiters gab es ja hinsichtlich freier Kollektivimprovisation, Ausweitung von Strukturen/Texturen bzw. BeBop-Phrasierung etc. namhafte Vorreiter. Von Tristano bis Taylor. Demnach ist der Begriff „Free Jazz“, nicht nur in Bezug auf Coleman gerade aus aktueller Sicht undogmatischer, umfassender zu denken bzw. als der letzte entscheidende Entwicklungsschritt für heutige Materialfreiheit im Jazz zu werten. Mit explizitem Bezugsverhältnis zu und dem Verstehen der gefassten Freiheit von Colemans Innovationen ließ das Broken Shadows Quartett die Musik dieser Lichtgestalt in originellster Weise Aufleben. Von im Schatten Ornette Colemans stehen, keine Spur. Wahrhaftige Hingabe und tiefempfundener Respekt ließ die renommierten Musiker aus diesem treten. Perfekt fingen sie jenen unbändigen Fortschrittsgeist Colemans mit hervorstechender Wesenheit und Imaginationskraft ein und transferierten die nun unbestreitbar feststehende Zeitlosigkeit seiner Musik in ihrer Deklination in einen Ewigkeitsstatus. Anhand von Stücken wie u.a. „Lonely Woman“, „Una Muy Bonita“, „C.O.D.“, „Broken Shadows“, „Civilization Day“ als auch in deren Sog entstandene Kompositionen wie Hadens „Song For Che“, Hemphills „Dogon A.D.“ oder Dewey Redmans „Walls & Bridges“. Großartig wie die tänzelnde Unbekümmertheit von Colemans Themen, mit teils einehmender, liedhafter Simplizität, in all ihrer Essenz erfasst wird. Wobei die Thema-Soli-Thema-Struktur immer wieder intelligent auf den Kopf gestellt wurde. Eine besondere Leichtigkeit greift dabei Platz. Egal ob in den freien rubato-Sequenzen oder den hitzigen Bebop-analogen Achteltonketten, kontrapunktischen Verschmelzungen, die auch zu, entgegen der Originalfassungen, exzentrischer sich reibendem freien Wechselspiel der Bläser auswachsen, den atemberaubenden Kollektivunisoni. In den allesamt zwingenden Improvisationen sowieso. Einen aufregenden Kontrast stellten die flüssige Legato-Spielweise und der samtene Ton Speeds gegenüber der bissig scharfen Expressivität Bernes dar. Berne, der beeindruckend Einflüsse von Coleman und Hemphill zu gültiger Individualität absorbiert hat, Speed der die Geschmeidigkeit der Hawkins/Young Diktion in heutiges Spielverständnis überträgt. Unabhängige Melodierhythmen, unterschiedliche Tempoebenen und die Wechselwirkung von durchgehend artikuliertem Beat und metrischer Lossagung, King und Anderson inszenierten mit einer Schwerelosigkeit sondergleichen  die Bewegungsfreiheit, schreiben ein außergewöhnlich dichtes Bandgefüge nieder. Sattsam magisch. Unübertreffliche Momente bescherten speziell die beiden Adaptionen von „Lonely Woman“ und „Song For Che“. Was diese Musik an weiterführenden Konzepten einerseits, an persönlicher Ausdrucksform andererseits anzuregen im Stande ist, lässt sich besser nicht formulieren. Würdigung, Wertschätzung jazzgeschichtlichen Großtaten. Weiterhin: Tomorrow Is The Question – an answer is given.