FR 16. – SO 18.Oktober.2020
Der vielseitige Tiefsaiter
PORTRAIT - MANU MAYR
FR: GABBEH
Golnar Shahyar (voc), Mona Matbou Riahi (cl), Manu Mayr (acc-b)
SCHTUM
Manu Mayr (e-b, electronics), Robert Pockfuß (e-g, electronics)
SA: MANU MAYR / SUSANNA GARTMAYER
Manu Mayr (acc-b), Susanna Gartmayer (bcl)
PNEUMA & MANU MAYR
Christine Gnigler (recorder, voice), Jakob Gnigler (ts), Robert Pockfuß (e-g), Bernhard Höchtel (p, keyboard), Manu Mayr (e-b, electronics)
SO: MANU MAYR Solo
Manu Mayr (acc-b, e-b & electronics)
5K HD – Unplugged
Mira Lu Kovacs (voc), Martin Eberle (tp, slide-tp, voc), Benny Omerzell (p), Manu Mayr (acc-b), Andreas Lettner (dr, voice)
Schon zu Beginn seines Auftretens in der österreichischen Jazzszene, vorerst im Umfeld der Jazzwerkstatt Wien, fiel der in dieser Stadt geborene Bassist auf als jemand der die herkömmliche Rollenzuweisung, sowohl was sein Instrument betrifft als auch innerhalb seiner musikalischen Konzeptionen, gegen den Kamm schert. Selbstständigkeit auf allen Ebenen zählt für ihn über die Maßen. Gleichwohl der Individualton, das Stilgrenzenüberbrücken. Reflektiert in linear entworfenen Walking Bass-Linien, in sich ruhendem Harmoniespiel mit dem gelegentlich nur die wichtigsten Gerüsttöne akzentuiert werden, wendigen Figuren bei metrisch unabhängiger, freier Improvisation, in der persönlichen Auslegung bei formaler Strenge. Fortan wuchs Mayr in eine zentrale Rolle im jungen Jazz/Neue Musik-Zirkel, in seiner Funktion als Bassist (akustisch wie elektrisch) und Komponist/Projektinitiator hinein.
Ein angemessenes dreitägiges Portrait rückte jetzt die diversen Fassetten der Künstlerpersönlichkeit mit der Leidenschaft zum tiefen Klang ins Rampenlicht.
Der Eröffnungstag stand zunächst im Zeichen eines Global Music-Verständnisses mit teils beschwörendem Ambiente im Zusammenschluss mit zwei fantastischen iranstämmigen Musikerinnnen - GABBEH. Gefolgt von den schallenergetischen, elektronisch generierten von technoiden Merkmalen gekennzeichneten Klangverdichtungen die unter dem Projektnamen SCHTUM firmieren.
Erster Programmpunkt des zweiten Tages war das bereits beim letztjährigen Jazzfestival Saalfelden für Aufsehen sorgende Duo Projekt MANU MAYRS mit der Bassklarinettistin SUSANNA GARTMAYER, die immense Eigenständigkeit als Stilistin erlangt hat. Im Zentrum Mayrs Werk „Steinernes Meer“. Ein epischer Dialog der mit einem dramaturgisch aufregenden Konzept der Wiederholungen operiert. Organisationsprinzipien der Minimal Music spiegeln sich darin in erfrischender Weise. Im Ansatz radikal. Repetitive Motive unterschiedlicher Länge verschränken sich innigst zu einem hypnotisch groovenden Musterbogen. Schnitte sorgen für stimulierende Tempo- und Harmoniewechsel. Das erzeugt äußerste Eindringlichkeit der Zusammenklänge. Ein „Zweikomponentenereignis“ der Besonderheit. Minimalistischen Formprinzipien hat sich gleichfalls die nachfolgende Formation PNEUMA & MANU MAYR verschrieben. Zur Aufführung gelangte eine großformatige Komposition des Gitarristen der Band. Ausgangspunkt ist eine einfache, wiederkehrende Figur, lediglich vom E-Bass inszeniert. Durch das Hinzutreten weiterer markanter Pattern, minimalen Phasenverschiebungen im harmonischen Ablauf und Temporückungen, verteilt auf die restlichen Instrumente, entsteht ein komplexes Gitter rhythmischer Strukturen. Deren Flow evoziert berauschende Sogwirkung und bildet auch den Kern der Musik. Faszinierend sind zudem die fortwährend aufblitzenden winzigen Klangdetails, das durch die ungewöhnliche Besetzung gegebene Klangfarbenspektrum, gruppiert um ein tonales Zentrum und nicht zuletzt die flirrenden Obertonreihen. In der Zurücknahme der Ereignishaftigkeit liegt die opulente Ausdrucksstärke dieses extreme soundscaping.
An den Anfang des Abschlusstages stellte MANU MAYR eine elaboriert klangforschende SOLO-Performance. Im ersten Teil widmete er sich dem E-Bass, dem er die Rolle eines Steuerungsgerätes für diverse Effektgeräte zuweist. Oszillierende Klangstränge, hoher Geräuschfaktor inklusive, bündeln sich in elektrisierenden Interferenzen, spontan manipuliert mittels der Regler des Instrumentes. Nonkonformität ist für Mayr unerlässliche Antriebskraft. Dann der Wechsel zum Kontrabass. Der Bespieler stellt ein arco gespieltes Arpeggio, in einen Loop-Modus eingefädelt, ins Zentrum seines Recitals. Das Muster wächst an, reduziert sich. Obertonreihen beginnen sich zu potenzieren. Exorbitante Suggestivkraft schwillt sukzessive an. Mit unglaublicher Präzision und ebenso blühender Polyphonie lotet Mayr das Fluidum eines einzelnen Klangereignisses aus. Umfassend, zur Tiefe hin abgestufte Weiträumigkeit, eine zum oberen Oktavbereich hin komprimierte Schärfung. Ein Modus Operandi von Ausnahmegüte. Final war der musikalische Diversitätsspezialist Manu Mayr in seiner Rolle als Bassist der derzeit äußerst erfolgreichen Avant-Pop Band 5K HD zu erleben. Die stilistischen Multispektralisten mit dem kryptischen Namen. Bekannt für einen massiven elektrifizierten Sound, Jazz, Rock, Dancefloor-Electronica gespießt, mit eben diesem gewieft wandelbaren Pop-Appeal. Doch diesmal ohne Strom, aber unter Strom. Die dabei angewandte Entschleunigung steht den kompakten Songs wunderbar zu Gesicht. Sensitivität und Bedachtsamkeit liegt dem kollektiven Entstehungsprozess zu Grunde. Ausgegangen wird von den typischen, funktionsharmonisch definierten Themen die knietief durch Pop-Gewässer stapfen, jedoch entsprechende Gefälligkeiten durch raffinierte harmonische und rhythmische Wendungen gezielt aufbrechen. Da steht die charismatische Mira Lu Kovacs, diesmal nur mit ihrer hochlagig schlanken, intonationsdirekten Stimme präsent, zunächst im Fokus. Wobei Trompeter Eberle fallweise, in zweistimmigen Parts, als profunder Sänger verblüfft. Folgeentwicklungen der Songs schreien nach den Instrumentalisten, die in durchleuchtender Intensität, diesen eine feinnervige Körperform anpassen. Aus der Trompete strömen beherrschte Noise-Attacken, die Techno-like akzentuieren oder losgelöst eruptieren. Solistisch, limitlos in den Möglichkeiten, spielt nur sie die Hauptrolle. Benny Omerzell lüftet breitgefächerte Harmonien, tendiert zum Unkonventionellen, Manu Mayr ist so unterstützend wie initiativ, alternierend zwischen „gitarrenhaftem“ und perfektem arco-Spiel, präsent. Abgerundet wird das Liedgut mit dem perkussiven Geschick des neuen Drummers Andreas Lettner. Dem es ziemlich frei steht, die Time zu dehnen oder zu straffen, die Akzente vor oder hinter den Beat zu setzten, den Groove periodisch auszulegen oder metrisch entbunden schwirren zu lassen. Ausgesteckt bei 5K HD legt den vielgestaltige Rohbau und die Dringlichkeit des Konzeptes offen.
Drei Abende musikalischer Integrität und Meisterschaft rund um einen Musiker ohne jegliche virtuose Selbstgefälligkeit für den, wie er es betont, es von weit aus größerer Bedeutung ist, sich in der Vielfalt des musikalischen Kosmos zu verzettel als in einer monochromen Umlaufbahn zu erstarren.