DO 22. April 2021
Let´s Call This - Grandioso
MONK´S CASINO – THE COMPLETE WORKS OF MONK
Rudi Mahal (bcl), Axel Dörner (tp), Alexander von Schlippenbach (p), Jan Roder (b), Michael Griener (dr)
Zur Musik, den jazzmusikalischen Intensionen von Thelonious Monk hat Alexander von Schlippenbach von Anbeginn seines Musikerlebens an eine besondere Beziehung, die er auch in den radikalsten Momenten freien Improvisierens – vom Trio bis zum Globe Unity Orchestra - immer wieder aufgreift. Spontan, der Situation, dem Spielimpuls geschuldet. Ende der 1990er Jahre nahm die Idee alle 70 (Themen)Kompositionen von Monk so in Form zu gießen, dass sie in einem Aufführungsablauf präsentiert werden können, Gestalt an. Zusammen mit der damals von einer jungen Generation von Post-Free Jazz Musikern gebildeten Formation „Die Enttäuschung“ bewerkstelligte Schlippenbach diese Herkules-Aufgabe. Monk´s Casinos „Pau-schall-ierung“ nahm Fahrt auf.
Das Berliner Kollektiv wagte sich als erstes an ein derartiges Unterfangen. Zuvor war es einzig Steve Lacy der sich in Projekten mit Ausschließlichkeit dem Oeuvre von Monk widmete. Vor dessen Ableben bereits, ebenso wie Schlippenbach. Nicht zuletzt ist/war es der Verdienst dieser Musiker, dass Monks Musik in jüngerer Vergangenheit in ihrer Zeitlosigkeit und Relevanz in den JazzmusikerInnen-Kreisen wieder erblüht und sogar ins Rocklager ausstrahlt. Zwischenzeitlich haben Monk´s Casino eine drei CDs umfassendes „Monk-othek“ veröffentlicht und touren in unregelmäßigen Abständen als musikalisches und emotionales Erkenntnisgewinn-Unterfangen durch die Lande. Kürzlich gastierte das Ensemble, als einer der derzeit wenigen internationalen Acts, eben im Club des „Art Of Streaming“. Wie waren die Herren doch im positivsten Sinne aufgedreht, spielwütig, ideensprühend und im Neuspiel des monkschen Materialbestandes versiert. Schlippenbach intonierte, modulierte an der Grenze zur Kongenialität Monks perkussiv spröden Klavierton. Das darin eingeschriebene Spiel mit Pausen als vitale Klang- und Rhythmuskontrastelemente vernetzt mit Kürzelhaftigkeiten von Pattern, findet stimulierte Entsprechungen in Schlippenbachs zwischen ausgedünnter Abstraktion und energischer Verdichtung polarisierendem Personalstil. Er erweitere mit großer Sensibilität Monks dissonante Cluster, die die Tonalität aufzubrechen scheinen um sie hernach affirmativ aufleben zu lassen. Bezüge zu Monks Stride-Wurzeln wurden ebenfalls bruchstückhaft angedeutet. Umsichtig souverän im Gruppenkontext, wie in sporadischen, fokussierten Soli. Des ikonischen afro-amerikanischen Pianisten Themen und Formkonzepte, die fast ausnahmslos nach zwölftaktiger Bluesform bzw. der traditionellen 32-taktigen A-A-B-A Songform gebaut sind, jedoch durch unorthodoxe Strukturierungsverläufe und einem speziellen Rhythmusverständnis ihre faszinierend sperrige Architektur erlangen, erfuhren durch das Quintett ein noch gehörigeres Maß an Abstraktion und Aufsplittung. Deren Typus aber nie demolierend. Großartig vertont in den Themenvorstellungen der beiden Bläser, im unisono oder in skalendivergierender Zweistimmigkeit dargeboten, die infolge das Funktionsterrain der Stücke verlassend, zu komplexen, kontrapunktisch angelegten, sinngefüllten Parforceritten ansetzten. Sich ineinander verschlingende Melodiebänder aus dem Ärmel schüttelnd. Zumeist modal, polytonal verankert. Gelegentlich im Kollektiv zu Klangfarben-Sturzbächen anschwollen. Vertikale und horizontale Soundentwicklungen nach denen Monk leidenschaftlich strebte, dabei Chromatik und Ganztonleitern als wesentliche Gestaltungsmittel forcierend, mobilisierte er mit rhythmischen Verschiebungen und weiten Intervallsprüngen. Das kommt den klangqualitativen, improvisatorischen wie konzeptionellen noch offener angelegten Ausdeutungen den Berliner „Klangcroupiers“ zupass. Ein brodelndes „Well, You Needn´t“ zerging in der Liebkosung von „Ruby My Dear“, Mahall und Dörner verströmten räudige Schmelze, „Locomotive“ zog mit stampfender Leichtigkeit dahin – „Straight, No Chaser“. Ein Up-Tempo Meisterwerk. Bass und Schlagzeug feierten bravouröse Off-Beat Explorationen. „Evidence“ förderte ein melodisch gefinkeltes „Schlippen-Monk“ Solo zutage. „Bemsha Swing“, lebhaftest paraphrasiert, beinhaltete ein völlig stoisch swingendes Drum-Solo – lediglich, mit stupender Präzision, auf Ride-Becken und Snare gespielt, die 2 und 4 betonend. Dann bog eine völlig entfesselte, von den Bläsern mit Geräuschspähnen durchzogene Kollektiventladung ums Eck – „Brilliant Corners“ schälte sich, wie bei all den anderen Versionen durchsetzt mit metrischen Umschüben und harmonischen Eigeneinfärbungen, heraus. Abermals überraschend ob der organischen Konstitution. Weitere Themen respektive zwei oder drei Takte daraus wurden andererseits potpourriartig zusammengefasst. Ans Ohr drangen: „Off Minor“, „Trinkle Tinkle“, „Rhythm –A-Ning“, „Hackensack“, „Stuffy Turkey“. Und noch einiges anderes nicht erkannte. Vermutlich wurden nicht alle Monk-Kompositionen angespielt, aber ausreichend viele um mithören zu können wie Monk die Synthese von Alt und Neu entsprechend einzigartig in der Jazz-Moderne festschrieb. Der amerikanische Jazz-Kritiker Whitney Balliet analysierte dereinst: „Seine Improvisationen sind verflüssigte Kompositionen, seine Kompositionen erstarrte Improvisationen“. Die Casino-Five haben diese Fakten mit ernsthafter Verspieltheit verinnerlicht und bringen zudem in ihren Neudeutungen die formal völlig entbundene Kreatürlichkeit des Momentes ein. Gespielt wird nicht in sondern mit der Tradition. Ergo nicht in monkschem Sinne sondern mit monkschem Sinne.
Monk´s Game – neu gemischt. Ende war dann doch before midnight.