4. Mai 2021
Von Hannes Schweiger

DO 29. April 2021
Electric Melody Four
LORENZ RAAB/ PHIL NYKRIN/ OLIVER STEGER/ ALEX DEUTSCH
Lorenz Raab (tp, el-devices), Phil Nykrin (el-p, keys), Oliver Steger (b), Alex Deutsch (dr)

Nach der Blütezeit der „Kreativ-Ehe“ von Jazz und Rock erfuhren mit Beginn der Digital-Technik elektrisch erzeugte Klänge eine qualitative Nivellierung nach unten. Speziell Tastengesteuerte Sounds verkamen zur permanent reproduzierten Staffage oder billigen Imitationen analoger Klänge. Erst eine neue Bewegung elektronischer Musik (mit Wien als eine der Hochburgen), zudem die technische Weiterentwicklung elektrischer Klangerzeuger, bot diesem unsäglichen Klanggrauen Einhalt. Speziell im „Plural-Jazz“ der letzten drei Dekaden erweckten Tasteninstrumentalistinnen /-instrumentalisten ein eigenständiges Klangprofil für Keyboards und Synthesizern zum Leben. Hierzulande ist einer der Handvoll synthetischer Klangzauberer Philipp Nykrin. Säule in dieser wunderbaren, neuen Band. Zu anderen haben vor allem Trompeter, seit Miles Davis´ elektrischem Initiationsritus, sich den Möglichkeiten elektrischer Effektgeräte gewidmet. Mit qualitativ unterschiedlichen Ergebnissen. Dem, dem es gelungen ist auch in dieser Hinsicht klangliche Originalität zu generieren ist Trompetenaltmeister Lorenz Raab. Ein wenig auch der Kapellmeister des Quartetts. Zur Prominenz und kinetischen Könnerschaft des Rhythmusdoppels gibt es nicht viel zu sagen. Wiederum Weltklasse. Freigelassen wurde die Musik anfänglich mit einem kurzen Trompetenrezital. Mittels Effektgeräten (vermutlich Harmonizer, Echoplex) simulierte Raab eine spacige Aura. Tranquillo-Stimmung erstarkte immer mehr zu forschen Klangströmen in denen die Geräuschpartikel oszillierten. Der Trompeter entfaltete im Verlaufe des Konzertes immensen Einfallsreichtum in der elektrischen Klangmanipulation, ließ aber doch auch immer wieder davon ab. Dann leuchtete seine exzeptionelle Melodiefindungsgabe richtig deutlich auf. Er versetzte sie mit überraschenden Wendungen, beugte deren Rhythmusstränge nach Lust und Laune und kehrte immer wieder zu anrührender Schlichtheit, magische Strahlkraft im Gepäck, zurück. Seinem übrigen Improvisationsverlangen implizierte Raab mit selbstverständlichem Impetus eine Verschmelzung von offensiver Attacca mit Klang-Innigkeit. Alle Nuancen nutzend in der tonalen Verortung. Ergibt großartige Erzählkunst. Der bereitete Nykrin den vielschichtigen harmonischen Nährboden. Selbstbestimmt im Ausloten der Möglichkeiten der elektronischen Tasteninstrumente, mit unerhörten Sounds, in eigener Taktung. Schon waren neue harmonische Bezüge hergestellt, raffiniert verwoben. Polyphon aufgefächerte Akkorde wandelten sich dann und wann zu repetitiven Mustern, die eine subkutane Trancehaftigkeit evozierten, den rhythmischen Sog nicht mehr entweichen ließen. Ergreifende Wärme schoss ein. Nykrin stellte ungeheure texturale Tiefe her. Was seine exzellent ökonomische  Spielweise über die Maßen auszeichnet ist das Vermögen wie er mit den Eingebungen spielt die er nicht spielt. Verschwendung an die Essenz musikalischer Gewichtung. Nykrin ist der musikalisch dringlichste Pianist der Zeit. Weltklasse, wie schon angedeutet, die rhythmische Gravitation. Alex Deutsch ein absoluter Könner im Umspielen des gefühlten Pulses. „Situationselastisch“ agierte er vor, auf,  hinter dem Beat, ließ viel Raum für Dynamik, Schattierungen der Schlagfiguren und Intuitivreaktionen. Thesis und Arsis in feistem Wechselspiel. Bassist Oliver Steger knüpfte sein eigenes Harmonienetz, welches punktgenau das Spannungsfeld zwischen horizontaler und vertikaler Strukturierung ergänzte. Stand jedoch in engster rhythmischer Beziehung zum Schlagzeug. Brotherhood of drum & bass.

Klar griff man gleichfalls auf den gängigen Vorrat an harmonischen Wendungen, rhythmischen Mustern, Strukturprinzipien aus der Jazzkiste zu, aber die Musiker handhabten dies als Alphabet, um die eigenweltlichen Klangschriften auszufertigen. Damit gingen geistreicher Umgang mit der Modalität, polytonale Freispiele, an Bezugspunkte gebunden, einher. Interaktionsgroßtat. Ganz oben steht die Kraft der melodischen Linien.