10. Mai 2021
Von Hannes Schweiger

DI 04. Mai 2021
GraFISCHe Unschärferelationen
TRIO SILBERFISCH & TRIO KUGELFISCH – ATRIBUTE TO ANESTIS LOGOTHETIS
TRIO SILBERFISCH: Katharina Roth (p), Maura Knierim (harp), Laura Deppe (cello)


TRIO KUGELFISCH: Judith Ferstl (b), Michael Bruckner (e-g), Renald Deppe (cl, palimpsest, conception, projection)

Fakt: Der hundertste Geburtstag des Komponisten Anestis Logothetis (1921-1994).

Um der traditionellen Verschriftung, dem Wust an Zusatzinformationen, Detailbeschreibungen, welche die Partituren der „Neue Musik“ bis Mitte des 20. Jhdts überwucherten, zu entkommen, stellte die in Folge erfundene grafische Notation mit ihrer optischen Suggestionskraft eine effiziente Alternative dar. Für das Verfahren sprechen zudem Unmittelbarkeit und Ökonomie. Wesentliche Voraussetzung allerdings ist der Verzicht detaillierter Kontrolle & Determination seitens des Komponisten, was den Interpretinnen/Interpreten ein maßgebliches Quantum an Eigenentscheidung überträgt. Entsprechend wecken die verwendeten Zeichen bei den Interpretinnen/Interpreten ganz bestimmte Assoziationen, die das Erfüllen des Gesamtduktus des Werkes zur Folge haben sollen. Derartige Assoziationen sind wesentliche Elemente der von Logothetis entwickelten grafischen Notation. Der deutsche Musikpublizist und Musiker Ulrich Dibelius schrieb in seinem Standardwerk: „Moderne Musik nach 1945“ darüber: „Trotz des Reizes sind seine, Logothetis´, Blätter deutlich auf die Musik orientiert. Sie beziehen einerseits fixierte Tonhöhen (in beliebiger Oktavlage) ein, andererseits reine Aktionszeichen, die ja nach verwendeten Instrumenten ganz Verschiedenes bewirken können,…“ Mit unbeirrbarer Konsequenz und ausgefeilter Variabilität blieb Logothetis zeitlebens der grafischen, oder wie er es vorzog zu benennen, polymorphen Notation verpflichtet. Zweifelsohne ein für die Musikgeschichte höchst relevanter Komponist. Festzuhalten ist vorerst, dass die sogenannte Hochkultur mit ihren großen Häusern sich seiner nicht erinnert. Glücklicherweise gibt es den „kleinen“  feinen Jazzclub mit seinen darüber Bescheid wissenden Betreibern, wo und wann überall qualitativ Bedeutendes geschah  respektive geschieht. Mehr möchte man dazu gar nicht sagen. Spiritus Rektor hinter dieser Hommage ist Porgys Strenge Kammer-„Direktor“ Renald Deppe – Musikvermittler, Musikauslöser, bildender Künstler, Wortstürmer, Pädagoge-ein Universalist. Handverlesene Partiturblätter aus dem Werkskanon des Komponisten hatte er ausgewählt. Wechselweise von zwei Trios unterschiedlichen Zuganges umsetzen lassend. Das Trio Silberfisch, gebildet von exzellenten jungen Musikerinnen des Klassikumfeldes, entfalteten eine stringente Realisierung, deren freizügige Verspieltheit, ausgelöst durch konzentrierte Deutungen der festgelegten Bezugspunkte, die Magie von Spontaneität provoziert. Aus den Vorgaben verklanglichten sie primär punktuelle, geräuschimmanente Klanggesten, die sich zu kristallinen Gebilden mit metallischer Wesenheit formten. Wobei die Räume zwischen diesen, ein irisierendes Spannungsgeflecht aufkeimen ließen. Wie durch die konkreten, optisch figurierten Organisationsabläufe der Originalgrafiken vom Komponisten angeregt. Das Improvisatoren aller erster Güte-Trio rund um Renald Deppe, Kugelfisch, folgte in den von ihm konzipierten „Palimpsesten“, sozusagen Überschreibungen der Originalpartituren, einem konträren Flow. Einem in dem Bewegungsenergie, Phrasierung, Artikulation des Jazz, ad hoc-Interplay, körperliche Walking Lines pulsierten. Kleinformatigen Klangflächen, repetitiven Muster, melodische Stenographie atmeten analog zu den Klangaktionen des Trios Silberfisch entsprechende Abstraktion und Struktursensibilität. Es schwang sich ein sinnstiftendes Äquilibrium ein, unter dem Antrieb der „Freigeisterei“, der zweifellos Logothetis ebenso mit Obsession frönte. Zwei kreativ eigenwillige Trios, unterschiedlicher Klangbeschaffenheit, die mit aller Empathie auf die imaginationsfördernde Entgrenztheit von Logothetis´ Kompositionsansatz verwiesen. Im Finale dann, des logothetischen Anspruchs gemäß, zu einer polymorphen Einheit verschmolzen. Sich intuitiv auf die Kunst der Sparsamkeit, der knappen Formulierungen verständigend. Sperrig schöne „Kammerspiele“.

Im Neue Musik Betrieb würde man nicht wie im Jazz-Jargon z.B. formulieren: „Johnny Hodges was really bad“, sondern: „Logothetis war ein großer Neuerer“. Das sollte man eigentlich auch nicht vergessen.