10. November 2021
Von Hannes Schweiger

DI  02. November 2021
Hochkomplexe “SCHLAGermusik”
BILLY COBHAM BAND
Billy Cobham (dm), Ulf Wakenius (e-g), Linley “Lokaf” Marthe (e-b), Steve Hamilton (keys)

Die Instrumentierung die Cobham für sein aktuelles Projekt wählte, galt dereinst als die klassische Besetzung des Genres Jazzrock. Und Cobham hat diesem Idiom, wie hinlänglich bekannt, als Schlagzeuger in wegweisendsten Projekten neue Sphären ertrommelt. Hingewiesen muss jedoch erneut einmal wieder auf seine viel zu wenig beachteten originellen Beiträge als Komponist in diesem Umfeld. Gemeint ist nicht so sehr seine unsterbliche „Kennmelodie“ „Stratus“ als vielmehr ausgedehnte Werke a la „Spanish Moss“ oder „Solarization“, in bläsererweiterten Besetzungen, mit ihren vielschichtigen Arrangements. Harmonische Ausreizungen verschmelzen hier mit rhythmischen Druckwellen. Zurück zum heute. Der Jazzrock wie Cobham in die Jahre gekommen, verlautbarte sich durchs kontinuierliche drehen Cobhams an dessen strukturellen Stellschrauben und eines beträchtlichen Spontaneitätgehalts, als erstaunlich abnützungsresistent und frischbezellt. Das Quartett stellte gleich einmal einen markigen mit jazzrockigen Finessen gespickten Opener auf die Bühne. Lustvolle Lockerheit und Spiellaune waren kurzum unüberhörbar. Dazu absolute Tempokontrolle, Interaktion extraordinaire, geballte Energieausstöße, Improvisationen die die Jazzrock- Funktionalismen zwar im Hinterkopf haben, dennoch hie und da genüsslich perspektiveverändernde Transversalen einziehen. Der schwedische Gitarrist Ulf Wakenius, übrigens langjähriger Partner von Oscar Peterson, und Bassist Linley Marthe, mit bewegter Vergangenheit mit Joe Zawinul, waren Cobham kongeniale, inspirierte Partner. Lediglich der Keyboarder verhedderte sich zu sehr in altbackenen Stereotypen und war mehr Erfüller denn Erfinder. Was aber letztlich nicht ins Gewicht fiel. Denn die drei Virtuosen auf Augenhöhe lancierten Rotbereich-Intensität und knisternde Dramaturgie. Wakenius, dessen Spiel sich aus straighter Modern Jazz-Mentalität und Jazzrock-Dialekt speist, phrasierte, pendelnd zwischen trocken swingender Sophistication und rückhaltloser Expressivität, eigenwillig originell. Harmonisch mit einer gewissen Extravaganz. Eine besonderer Empathie für den cobhamschen Drive entwickelnd, vernetzte der Bassist mit permanent brodelnden autonomen Melodielinien, rhythmisch kontrapunktierend, den gitarristischen Output mit dem schlagzeugenden. Letzterer bestätigte einen körperlich vitalen, mental beweglichen Cobham. Wahnwitzige Snare Wirbel-, Paradiddle-Zaubereien, halsbrecherische Fills und Akzentuierungsasymmetrien gehen ihm nach wie vor leichtest von Hand und Fuß. Implantiert in ein komplexes System aus Kreuz- und Komplementärrhythmen die ein famoses polyrhythmisches/multimetrisches Gesamtmotorikwerk ergaben. Hinzu kam noch eine wunderbare melodische Nuance durch die ausgeklügelte klangliche Abstimmung des kompletten Drumsets. Darin ist Cobham unerreicht. So erhält auch die Paradenummer „Stratus“ immer neuen Feinschliff. Ganz exzeptionell praktizierte der Drummer seinen melodischen Feinsinn in einem von Seltenheitswert geprägten Solo. Ausschließlich mit den Händen und Fingern beklopfte, betaste er sein Instrumentarium. Man kam aus dem Staunen nicht heraus. Als Nachschlag präsentierten die „fantastischen Vier“ eine abgedrehte Version von Cobhams „Red Baron“. Nochmals trat eine eher selten anzutreffende Fassette dieser musikalischen Ästhetik zu Tage, dass nämlich Subtilität und Kraft, Innerlichkeit und berstende Explosivität sich einander nicht ausschließen müssen. Jazzrock in der Zeit verortet.