21. November 2021
Von Hannes Schweiger

SO 14. November 2021
Von irgendwo her, aus dem Innersten
CHARLES LLOYD QUARTET
Charles Lloyd (ts, a-fl, tarogato), Gerald Clayton (p), Reuben Rogers (b), Kendrick Scott (dr)

“Wenn du nicht die spirituelle Seite dazunimmst, dann, glaube ich, ist Jazz heute nicht mehr vollständig.” äußerte einmal der große Schlagzeug-Altmeister Albert Heath. Spiritualität als weiterer Quell musikalischer Kreativität ist für Jazzmusiker, seit der ergründenden Auseinander mit afrikanischen und asiatischen Musiktraditionen, die mit der Bebop-Evolution ihren Anfang nahm, ein bedeutender Fakt. John Coltrane war der erste, in Verbindung mit seiner tiefen Religiosität, der dieses spirituelle Bewusstsein in seiner Musik in völliger Hingabe auslebte. Die wohlbekannten dahingehenden Manifestationen seiner letzten Lebensjahre sprechen für sich. Ein Musiker, den dieser Zugang, diese transzendente Intensität stark beeinflusste und der daraus eine solitär eigene musikalische Wesenheit und Kraft generierte ist Charles Lloyd. Erste Bekundungen und Impulse zeigten sich bereits während seiner Mitgliedschaft in den Bands von Chico Hamilton und Cannonball Adderley zu Beginn der 1960er Jahre. Rigorose Strahlkraft entwickelte er in seinem legendären Quartett mit Jarrett, DeJohnette, McBee/McClure. Hinzukam, dass er eine wegweisende Gemengelage aus Jazz, Rock und Endsechzigerjahre Hippie-Folk aus der Taufe hob. Doch seit jeher dreht sich das Primärgeschehen um den Sound. Den Sound seines Saxophones, den Sound der Gruppe. Seine lange währende Reise durch die Musik führte ihn immer direkter an den Ursache-, Auslösungsnukleus. Lloyd spricht vom Ton der destillierten Essenz und einer Qualität der Klarheit. Mit welch eigentlich nicht erklärbaren, nicht mehr steigerbaren Güte er dies in Schwingungen umsetzt, ließ er auch an diesem Abend abermals ausreifen. Die um vieles jüngeren Partner des Saxophonisten, sie sind Teil der meisterlichen Riege des heutigen afroamerikanischen Jazzpluralismus, geben diesem Lloydschen Qualitätsstatus einen weiteren Vitaminschub. Eine Tatsache „universellen“ Miteinander-Verflochtenseins. Es war eine Begegnung des Vollendeten. Der 83jährige Musiker frönte expressivst einem kreativen Unruhezustand. Bestimmender Grundzug der Musik war jener einer Sanftmut, die Lloyd in einzigartiger Weise aus seinem Horn strömen lässt. Fernab jeglicher Süßlichkeit, jeglichen Lamentos. Eine Sanftmut von empathischer Wärme und humanistischer Größe, aber eben auch mit Mut zu energischen Entäußerungen und Klangfarbenexplorationen. In völliger Ausgeglichenheit. Lloyd kanalisiert seine Musik in linearer Ereignishaftigkeit, treibt die Funktionsharmonik von motivischen Vorgaben – „Dream Weaver“, „Passin´ Thru“ -  an die tonalen Grenzen, überlässt Formen ab und an einer entbundenen Momententwicklung. Seine Improvisationen werden immer straffer, vertiefter. Man tendiert plötzlich dazu Übersinnliches zu deuten. Einer Ritze im Universum entsteigt ein vollendeter Klang, der durch den Saxophonisten strömt. Der vermittelt ihn lediglich – ausformend. Aber es bleibt irdisch, denn das Jazz-Erbgut ist der Spender. Und jeder der Musiker tauchte  durch seinen persönlichen Empfindungspunkt die Musik in eine speziell illuminierende Aura. Clayton und Rogers mit einem unfassbaren harmonisch/melodischen Fantasmus. Kendrick Scott, dessen Schlagzeugkunst ein Füllhorn an rhythmisch/metrischer Variabilität gepaart mit zündenden Tempowechseln und Akzentuierungsverschiebungen ausschüttete, war der kinetische Herzmuskel. Zusammengezogen in einem grandiosen Interplay, dessen Nervenbahnen sich in Lloyds Spiel bündelten. Der spielt immer weniger, aber es entsteht immer mehr Musik. The Water is Wide.