14. Oktober 2022
Von Hannes Schweiger

DO  06. Oktober 2022
Blue Notes aus dem Sahel
BOUBACAR TRAORÉ
Boubacar Traoré (voc, acc-g), Babah Koné (perc, voc), Vincent Bucher (harp)

Mit der Unabhängigkeit Malis im Jahre 1960 begann gleichfalls die Karriere von Boubacar Traoré. Er avancierte zu einer Autorität der zeitgenössischen Populärmusik Malis. Die akustische Gitarre wurde sein Instrument, für das er Klangeigenschaften der Harfenlaute Cora adaptierte. Diverse politische Veränderungen in Mali bescherten dem Mann ein bewegtes Leben, im Verlaufe dessen er sich das eine oder andere Mal aus dem Musikerdasein zurückziehen musste. Doch seit mittlerweile über dreißig Jahren verbreitet Traoré wieder seine wesenseigene Musik, gespeist von tiefgründiger spiritueller und archaischer Kraft. In ganz spezifischer Weise finden in der Melodik seines Spieles afrikanische Tonalitätsverhältnisse und das harmonische Schema der afro-amerikanischen Bluesformel zusammen. Im Verbund mit afrikanischer Rhythmisierung schuf Traoré seine Form eines „African Blues“. Auch die Ähnlichkeiten in der Modulation wie beim afro-amerikanischen Blues stellen sich offen dar. Immer wieder dringen Analogien zum Blues eines John Lee Hooker ans Ohr. Ebenso wird man sich des Quellgebietes der den Blues/Jazz charakterisierenden Blue Notes gewahr: Afrika. Man begegnet hier einem Beispiel befruchtender Transkulturation. Aktuell ist der 80-jährige Musiker mit einem ungewöhnlich besetzten Trio zugange. Babah Koné, der Perkussionist, spielt die Hälfte eines Riesenkürbis, so hat es jedenfalls den Anschein, die mit der gekrümmten Seite nach oben vor ihm liegt. Am Mittelfinger seiner rechten Hand sitzt ein Eisenring mit dem er knackende Sounds erzielt. Mit der zur Faust geballten linken Hand beschlägt er den oberen Bereich der Schale, was einen vollen Basston nach sich zieht, mit dem die Eins markiert wird. Und dann der beseelte Blues-Harp Stil des französischen Mundharmonika-Virtuosen Vincent Bucher.

Traoré entwarf kurze Motive in repetitivem Verlauf, die er mit zyklisch wiederkehrenden Akkordfolgen harmonisch ausdeutete. Trancelastige Ketten waren die Folge. Darüber mäanderten in stark modulierender Phrasierung seine Gesangslinien, die Grund charakteristischer Intervallsprünge und rhythmischer Strukturen reizvolle, Off-Beat Effekt bewirkten. Zusätzlich intensiviert wurde der rhythmische Raster durch den schlichten Vierer-Groove, dem der Perkussionist mit gefinkelten Akzentuierungen tänzelnde Gelenkigkeit verpasste. Wunderbarer Nährboden für die eindringlichen Improvisationen Buchers. Bluesfeeling und afrikanische Sangbarkeit rinnen bei ihm in eine Ader. Somit bewegte sich die Musik auch stets von einfacher Mehrstimmigkeit weg und war modaler Mentalität anverwandt. Obendrein pflegten die drei engste Interaktion.

Dieses Fest des Lebens, nicht nur einmal fühlte man sich an einen „African Marketplace“ versetzt, proklamierte auch, wie eng Musik und gesellschaftliches Leben in Afrika verschränkt sind – Musik als soziale Kraft. Der Musikwissenschafter/ -ethnologe und einer der nach wie anerkanntesten Musikafrikanisten, der Österreicher Gerhard Kubik, merkt in einem seiner Aufsätze über afrikanische Musik an: „Darüber hinaus ist der individuelle Musiker mit seinem persönlichen Stil und seiner persönlichen Kreativität ein wichtiger Faktor in afrikanischen Musikkulturen.“ Hier liegen bereits ganz wesentliche Parameter der afro-amerikanischen Blues- bzw. Jazzentwicklung begründet. Jene Fakten der eigenen Stilistik, des individuellen Tones vermittelt Traoré anhand  bemerkenswerter Wachsamkeit. Ausgerufen mit unbeugsamer Wahrhaftigkeit. „Bewahre deine Tradition, es wird niemand anderer für dich tun.“, konstatierte dereinst der große Chicagoer Saxophonist Fred Anderson. So lebt es Boubacar Traoré.