16. November 2022
Von Hannes Schweiger

DO 03. November 2022
Sternsinger
MARK TURNER “RETURN FROM THE STARS”
Mark Turner (ts), Jason Palmer (tp), Joe Martin (acc-b), Jonathan Pinson (dr)

Anders als bei Sun Ra ist bei Mark Turner nicht klar, ob er, gemäß seines neuen Programms, einen anderen Stern als Geburtsort nennt, oder ob er lediglich ein „Sternehüpfen“ absolviert hat. Gehen wir nicht näher darauf ein. Erfreulich jedenfalls, dass er wieder auf der Erde zurück ist. Mit neu formiertem Quartett, wiederum harmonieinstrumentebefreit – also 2 Horns/2 Rhythm. Mark Turner entstammt der Musikergeneration jener Neo Bop-Bewegung der 1990er Jahre, die das Bewusstsein für die moderne Jazztradition geschärft und den Umgang mit ihr neu verortet haben. Turner hat im Rahmen dieser abgeklärten Modernität, eine ausnehmend eigenwillige Artikulationsweise ausformuliert. In seiner Stilistik ebenso wie in der konzeptionellen Methodik. Der Saxophonist nützt die offenere harmonische Flexibilität um einerseits den improvisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten der Musiker, innerhalb der modalen Tonalität ein Maximum zu bieten, andererseits um vertikale und horizontale Strukturen all erdenklicher Verbindungen zuführen bzw. auch in formale Randzonen transferieren zu können. Sein dahingehender Ideenreichtum deklarierte sich bereits innerhalb weniger Minuten und stellte aufregendes in Aussicht. Wie dem auch war. Verschachtelte Arrangements boten ausgefuchste Zweistimmigkeit der Bläser, weitgehende rhythmische Beweglichkeit, Akzentuierungsmöglichkeiten, kontrapunktischen Edelstoff, forcierten Interaktion und Variation. Und die Chemie stimmte unter den Musikern in höchstem Ausmaß. Die Souveränität im Umgang mit dem komponierten Material und die daraus sich bedingenden Improvisationen prononcierten des Öfteren eine kammermusikalische Manier. Mittels einer Abstraktion der Mehrdeutigkeit von elastischem Verlauf – der tonale Raster bleibt das Aktionsfeld. Jeweilige ausgeprägte Eigenarten der Musiker sind das sine qua non. Der Leader kostete mit warmem Ton seine enorm biegsam phrasierten Tonbindungen modal umfassend aus. Auffallend sein markantes Harmoniebewusstsein, seine melodisches Explorationsvermögen. Tradierte Changesverläufe „bespannte“ er mit melodischen Konträrgesten. Der begnadete, scharfprofilige Trompeter Jason Palmer steht in symbiotischer Korrelation zu Turner, flog mit ihm durch verwegendste Fortschreitungen und ist auch als Improvisator hochgradig individuell. Auch er brachte galant klangliche Introspektion mit kerniger Bissigkeit in Balance. Ohne Übertreibung sind die beiden Rhythmuskreatoren die idealen Antriebskräfte. Bassist Martin tauschte behände mächtige Hooklines mit melodischen Expositionen. Mit überraschenden Drops steigerte er die Dramaturgie. Systematisch ausgeklügelt betrieb der juvenile Schlagzeuger Jonathan Pinson seine offene Spielweise. Mit famosem Broken Time-Zugang schuf er Räume, die ihm eine impulsstiftende Vernetzung von kurzzeitigem Timekeeping, kolorierendem Klangspiel und ständigen Beatversetzungen mittels alternierender Akzentuierungen und somit eine polymetrische Rasterung ermöglichten.

Die Musik strahlte einerseits an ihren Fixstellen vor exzellenter Stimmführungskunst in den Spontanbereichen mit einer maßvoll gesetzten Bewegungsfreiheit. Neben komplexer Architektur gab sie sich auch der schlichten Schönheit einer melodischen Progression hin. Vier „Starmen“ die beglückend viel Sternenstaub mitgebracht haben. Schön, dass sie schlussendlich schöpferische Erdlinge sind.