30. November 2022
Von Hannes Schweiger

DI 15. November 2022
Rhythmische Metasprache
STEVE COLEMAN & FIVE ELEMENTS
Steve Coleman (as, voice), Kokayi (wordsmith), Jonathan Finlayson (tp), Rich Brown (e-b), Sean Rickman (dr)

Die Verfilzungen der „Wortschmiedereien“ und der Klangmodellierungen, die immer prägnanter einer rhythmischen Rasterung folgen, haben inzwischen einen außerordentlichen Dichtegrad angenommen. Der sprachmächtige, stimmvolumige Akrobat Kokayi hat sich nahtlos in Steve Colemans raffiniert verzweigtes, eher eine Musikerfindungsphilosophie denn Stilistik vertretendes M-Base-Denkmodell eingefunden. Der Vokalist betont nun überdeutlich die bereits angesprochene rhythmische Strukturalität der Musik des Saxophonisten. Bei diesem Konzert zu einem kinetischen Hochgebirge aufgetürmt. Jeder der Musiker erschuf vorrangig seine eigendefinierte rhythmische „Erlebniswelt“ mit brodelnder „Funky Tide“ – der afroamerikanisch geprägten Urbanität entspringend -, angereichert mit aperiodischen Akzentuierungsstrukturen, vertrackten metrischen Wegsamkeiten, einer drängenden immersiven Bewegungsenergie. Und natürlich verbalen Kunstkniffen. Frappierend die zahnräderähnelnde Präzision mit der die einzelnen Rhythmusloops ineinandergriffen, sich überlappten oder spannungsinduktiv kollidierten. Kaum sortierbar war dieses Dickicht an Off-Beats, polyrhythmischen Schichtungen und unentwegt sich neu findenden Kopplungen und Figuren. Unmittelbarkeit, spielerische Spontaneität bzw. soghafte Durchhörbarkeit erhöhten das Erleben. Dieses „Beatmassiv“ zum Singen brachten kurzgefasste Motive. Konglomerate aus lyrischer Kantabilität, Bop-Phrasen, verschachtelten Melodie-Strängen, harmonischem Wagemut -  einem tonalen Zentrum stets verbunden.

Von Coleman des Öfteren unbegleitet hingestellt, aber auch in präzisem Unisono mit dem Trompeter oder dreistimmig zuzüglich der Stimme. In den Improvisationen verfolgte Coleman gleichsam komplexe Pfade, Themenblöcke ausformend, mit scharfumrissenen Stakkatokaskaden jubilierend. Er gelangte somit zu spiralartigen Bewegungsverläufen. Darüber flaniert die Identität von Ton und Phrasierung. In seinen Extempores, man hätte gerne etwas von den „Wortspielen“ verstanden – die Inbrunst ließ allerdings den Inhalt fühlen-, slamte, „wordete“, sang, scatete, rapte Kokayi in einer ziemlichen Einzigartigkeit und begründet so etwas wie eine neue verbale Ausdrucksweise: „Scap“. Einigermaßen zurückhaltend, die Strahlkraft gedeckelt, wirkte Trompeter Finlayson. Der Drum & Bass-Generator trieb es gewohnt phänomenal buntest.  Das Erbe afrikanischer rhythmischer Organisation in Koinzidenz mit dem Jazz Beat-Feeling plausibilisiert sich in Colemans speziellem zeitstrukturierenden, tonräumlichen System zu einem kinetischen Ritual, das der afroamerikanischen Musik ihren Bedeutungsstatus für die Musikentwicklung der letzten 12 Dekaden erhält und deren Wachstum nachwirkend vorantreibt. Five Elements - dem Rhythmus im Wort.