28. April 2023
Von Hannes Schweiger

SO 23. April 2023
Transilvanisches Echo
LUCIAN BAN/ JOHN SURMAN/ MAT MANERI “Transilvanian Folk Songs – The Béla Bartók Field Recordings”
Lucian Ban (p), John Surman (ss, bcl), Mat Maneri (viola)

Der Üppigkeit der Romantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts überdrüssig, nach Wegen der Verjüngung der Kunstmusik suchend, mit dem Ziel eine eigene ungarische Variante zu schaffen, fand Bartók in der osteuropäischen Volksmusik für sich die Lösung. Zunächst von der Volksmusik seines Herkunftslandes ausgehend, bereiste und forschte er folglich in den übrigen Balkanländern, später ausgedehnt bis in die Türkei und Nordafrika, und erstellte ein umfangreiches Tonarchiv an Volksliedern. Diese waren Basis seines hervorstechenden Schaffens in dem sich Volks- und Kunstmusik auf höchstem Niveau verbanden. Von prägender Inspiration waren unter anderem die Volksmusiken Transilvaniens. Auch hier waren es deren eindringliche Kraft, wahrhaftige Vollkommenheit und von Sentimentalität und überflüssiger Ornamentik befreite Einfachheit die Bartók nachhaltig beeindruckten. Von der Faszination dieses Volksliedgutes respektive der Bearbeitungen Bartóks wurden nun auch die  drei begnadeten, jazzverwurzelten Extemporateure übermannt. Für Lucian Ban spielten seit jeher seine rumänischen Wurzel im musikalischen Tun eine wesentliche Rolle, Surman adaptiert seit frühen Tagen explizit die schottische Folklore für seine Musik und Mat Maneri bereichert sein Spiel, angeregt durch die seinerzeit enge Zusammenarbeit mit seinem Vater, dem legendären Saxophonisten Joe Maneri (verstorben 2009), mit Elementen osteuropäischer Volksmusik. Allen dreien ist somit eine essentielle, respektzollende Integration  ethnischer Musiken in den Jazzkontext eigen. Mit ebensolchem Ansatz verwirklichen sie ihre Bearbeitungen traditioneller, transilvanischer Lieder, die sie aus dem bartóckschen Fundus aushoben. Teils hielten sich die Musiker relativ strikt an die originalen Melodielinien mit rudimentären Ergänzungen, doch primär transportierten sie die Beseeltheit jener Lieder in Paraphrasen voller intelligenter Empathie, erweiterten mit Bedacht, in feinverästelten Arrangements, die zugrundeliegende Harmonik, woraus sich die tragenden Improvisationen, kurz und schlüssig, lösten. Diesbezüglich ist zunächst John Surman große Hochachtung zu zollen. Mit seinen fast achtzig Jahren demonstrierte er eine Agilität sondergleichen, physisch wie musikalisch, ließ seine sigulären Melodiemeander auf dem Sopran freudigst, unter anderem in verwinkelt akzentuierter Rhythmik, analog der dahingehenden Komplexität des Ausgangsmaterials,  tanzen, ab und an exaltiert, schärfte nochmals deren Konturen. Mit der Bassklarinette, einmal in einem furiosen unbegleiteten Solo, bündelte er seinen Ideenstrom in muntere Elegik. Auch hier mit einem Ton der es über den Rücken rieseln lässt. Beeindruckend führte Surman verschiedene Erzählstränge ineinander und erzeugte Fiktionen der Endlosigkeit. Repetitive Muster, flanierende Ostinate kitzelte Lucian Ban aus der Funktionsrhythmik der Lieder und induzierte dadurch eine vielschichtige Bewegungsenergie. Solistisch bannte auch er als findiger Melodiker. Die abstrakteste Ebene zog Maneri in die Musik ein. Famos ausgehört, durchwirkte er die Originalmelodien mit Mikrointervallen und ließ so Zonen der Tonalität und Atonalität mit Selbstverständnis durchdringen. Fasziniert hat weiters die vollzogene Detailliebe der Musiker gegenüber dem archaischen Material. Texturen virtuoser Kontrapunktik , irrlichtender Unisoni und jubilierender Sanglichkeit erlangten so eine elektrisierende Unmittelbarkeit. Berührende Lebenslieder.