6. Januar 2024
Von Hannes Schweiger

MO  18. Dezember 2023
Großformatiger Klang-Drang & Briefe im Liebestaumel
RALPH MOTHWURF ORCHESTRA feat. BIRGIT MINICHMAYR
Ralph Mothwurf (cond, comp), Birgit Minichmayr (vocals), Stepan Flagar (ts), Yvonne Moriel (as), Martin Eberle, Markus Pechmann (tp), Christina Lachberger (b-tb), Georg Schrattenholzer (tb), Irena Manolova (marimba), Max Kanzler (vibes), Simon Raab (p, e-p), Tobias Vedovelli (e-b, acc-b), Andreas Lettner (dr), Joanna Lewis, Marianna Oczkowska, Ulrike Greuter (v), Jelena Poprzan, Simon Schellnegger (viola), Marta Kordykiewicz (cello)

Der erste Teil des Abends begeisterte mit Stücken ureigendster Natur, deren fraktale Konzeptionen von fassbarer Durchhörbarkeit und fesselnder Schwingungsimpendanz sind, aus Mothwurfs ergiebigem Werkekanon. Allesamt für die Stageband-Reihe neu entstanden. Immer deutlicher tritt des Komponisten Gabe hervor, seine Ideen der Stimmführung und des Improvisationsanreizes gezielt auf spezifische MitmusikerInnen zuschneiden zu können. Entwickelt aus einer Synergie zwischen seinen eigenen kreativen Impulsen respektive handwerklichen Qualitäten und den Persönlichkeiten und spielerischen Fähigkeiten der Bandmitglieder. Da eröffnen sich durch die ausgearbeiteten Vorgaben im Zusammenwirken mit der eigenen Vorstellungskraft zusätzliche Räume für die SolistInnen.

Vorweg gesagt, da trumpften zunächst „Trompeten-Strahlemann“ Martin Eberle und die Altsaxophonistin Yvonne Moriel auf. Sie, eine energiegeladene, relevante neue Saxophonstimme, deren eigenwillige Artikulation bereits massiv beeindruckt. Mit der notwendigen Dringlichkeit und Entscheidungsfreiheit durchwirkten die Improvisationen Grund der nötigen Unkalkulierbarkeit die Kompositionen. Ebenso ergiebig, signifikant darin: Stepan Flagar, Markus Pechmann, Simon Raab. Aufregendst inszenierte das hervorragend zusammengewachsene Ensemble den prallen Strukturreichtum, keineswegs in Überfrachtung mündend, die zupackende Ausdruckskraft, das Klima aufeinander treffender rhythmischer Vertracktheiten mit harmonischen wie melodischen Extravaganzen, der bündigen, mit individuellen Voicings ausgehörten Tonkunststücke Mothwurfs.  Selbiges Niveau ist den variablen, in ihrem Ablaufwesen stets überrachenden Wendungen frönenden Arrangements zuzuschreiben. Füllige Ereignishaftigkeit macht auch da und dort feinstofflich sezierter Durchwirkung Platz.

Der zweite Teil des Abends setzte sodann noch einiges drauf. Nicht zuletzt durch das Mitwirken der famosen Schauspielerin/Sängerin Birgit Minichmayr. Sie war der Fokus des ARTikulierten Geschehens. Konzept war das musikalische Umgarnen, Aufkratzen, Steigern von Minichmayr selbst ausgewählten Texten, die verschiedene Fassetten des Themas Liebe abhandeln. Geschriebenes u.a. von Ingeborg Bachmann, Simone de Beauvoir, Oskar Wilde. Vorgetragen mit unvergleichlicher sonorer Stimme der dieser besondere borstige Charme anhaftet. Binnen Sekunden war die Mimin integrativer Bestandteil des Ensembles. Die Stimme, der Vortrag nährte sich an der Musik und vice versa. Teils hingen die Töne wie Tautropfen am gesprochenen Wort, das seinerseits jedes klangliche Substrat aufsaugte. Und dann offenbarte Minichmayr ihre Sangeskunst. Inbrünstig, von berstender Ausdruckskraft, bohrender Unmittelbarkeit. Ausgelebt mit dunkler, rauer Altstimme, der eine Phrasierung voller Eigenheiten, gepaart mit spannungsforderndem Feinsinn für Dramaturgie innewohnt. Zudem die Modulation der Worte – faszinierend. Eine seltene Körperlichkeit stand da im Raum. Die Neufassungen dreier Songs aus der Popkultur, von David Bowie, Leonard Cohen, die Urheber des dritten waren nicht verifizierbar, denen Mothwurf eine harmonische Revitalisierung verpasste, waren die  Ausgangslage. Das Fremdliedgut erlangt einen farblichen Fassettenreichtum,  ertönt rhythmisch um vieles variabler und das melodische Fluidum entledigt sich originellst seiner ursprungsfunktionalen Enge. Auch hier gestaltet Mothwurf, wie bei seinen eigenen Stücken, die Arrangements mit stilistischer Weitgefasstheit. Unter Nutzung wunderbar ineinanderfließender Eigengesetzlichkeit. All das bündelte sich in der famosen Performance von Birgit Minichmayr, die diese ereignisfunkelnde musikalische Umgebung sehr genoss und auskostete. Was für ein Abend  - ein wuchernder Energie- und Mentalschub.