17. Oktober 2016
Von Hannes Schweiger

SO 16. OKTOBER 2016
Das Gewicht der schwarzen Linie
TIA FULLER TRIO
Tia Fuller (ss, as), Ivan Taylor (b), Joe Dyson (dr)

Die Mitgliedschaft in der Tourband des R´n´B-Superstars Beyoncé ist ihr lukrativster Job. Aber auch die pädagogische Tätigkeit ist ihr ein Anliegen. Für ihre ureigensten Klangwelten, speziell in der Trioversion, verortet sich die illustre Saxophonistin knietief in der afro-amerikanischen Jazzhistorie, deren traditionelle Formabläufe sie rudimentär einfließen lässt, und knüpft ziemlich kompromisslos, zielstrebig beseelt an die Entwicklungen der Post-Free Jazz Weiterführungen, dereinst von der Journaille etwas unbeholfen als „Loft Jazz“ tituliert, wie sie von „Great Black Musicians“ wie etwa Oliver Lake, Julius Hemphill, Henry Threadgill (dessen legendäres Trio Air ein Blaupause für Fullers Triovision gewesen sein könnte) formuliert wurden, an. Eine schwarzen Linie in der das Authentische in der Expressivität, Bluesverwurzeltheit, die rhythmische Mannigfaltigkeit der afrikanischen Musik und der „soulful cry“ als ursächliche Impulsgeber fungieren. Demzufolge durchdringt sich Tradiertes und Fortschreitendes in sehr homogener Weise in den Soundscapes des Trios. Ohne Umschweife schraubten, gleich zu Beginn, Fuller, am Sopransaxophon, und Drummer Dyson in einem hitzigen, formal offen gehaltenen Dialog die Musik auf einen vibrierenden Energielevel. Legendäre solcher instrumentellen Paarungen schossen einem durch den Kopf. Danach griff Fuller zum Altsaxophon und das Trio entfachte in einem offenen Interplay einen Himmelssturm an überraschenden, melodischen Verästelungen, expressiven Tonwandlungen und motorischen Capricen. Ihren schneidenden, trockenen Ton, gepaart mit schroffer Intonation verbindet Fuller zu einer eigenständigen Spielweise. Diese kulminierte in findigen, von Skalen und Changes weitestgehend losgelösten, impulsiven Improvisationen die im Austausch  mit den inspirierten Interventionen ihrer gleichfalls meisterlichen Partner, in einen stringenten Kollektivzustand mündeten. Aus diesem traten bereichernd auch unbegleitete Soli bzw. variierende Duos hervor. Bravourös modulierte der Schlagzeuger vertrackt geschachtelte Rhythmen, schlüsselte diese auf und setzte sie neuerlich zu flexiblen Musterfolgen zusammen. Darüber streute er noch melodisch konnotierte Kolorierungen. Der Mann am Bass bestach mit klangbewusster, überlegter Herangehensweise, der zufolge er das niederfrequente Fundament mit Eloquenz ausformulierte. Die thematischen Inseln folgten in ihrem Erscheinen keinem konventionellen Muster, sondern wurden nach spontanem Befinden ins Spiel gebracht. Tonale Zentren waren Dreh- und Angelpunkt der Musik, doch manövrierten die MusikerInnen freimütig und souverän die Musik ebenso in den Orbit der Freitonalität, aber immer einen variablen Formgehalt einfordernd. Mit Imaginationskraft und viel Herzblut wurde hier die progressive afro-amerikanische Jazzspielhaltung, die in den 1970er Jahren ihre letzten bahnbrechenden Neuerungen manifestierte, aufgegriffen und erfrischend in die Gegenwart verpflanzt. Und es gelingt Fuller durch ihre offensive Präsenz mit diesem Ansatz eine unprätentiöse Hipness zu versprühen.