20. Oktober 2016
Von Hannes Schweiger

MI 19. OKTOBER 2016
Die Präzision in der spontanen Schöpfung
GEORG GRAEWE QUARTET
Paul Dunmall (ts), Georg Graewe (p), Peter Herbert (b), Mark Sanders (dr, perc)

Aus einer konzentrierten, atmenden Akkordfortschreitung heraus, die den Beginn eines Solostückes markierte, ersann Georg Graewe ein feinstoffliches Gewebe bestehend aus rasanten, detailreichen Tonketten und das komplette tonale Dur-Moll-Spektrum durchmessende, von gelegentlichen atonalen „Mikroben“ durchsetzte Harmonietürmungen, in denen es vor spannenden Alterationen ziemlich brodelte. Dieses kurze Rezital, verdeutlichte schon Graewes herausragende Musikalität gepaart mit exzeptioneller technischer Versiertheit und improvisatorischer Imaginationskraft und war die Intrada zu zwei ausgedehnten Extemporationsereignissen. Realisiert von seinem neuen Quartett zu dem er drei weitere Krösusse der unter anderem spontanen Klangfindung/ originäre Stilisten hinzugezogen hat. In einem ausnehmend reaktionsschnellen Interaktionsablauf, gestützt auf eine engmaschige kollektive Gestik, verwirklichten die Musiker einen sprudelnden Vorwärtsdrang, umgesetzt mit sensitiver Energetik,  in dessen Verlauf dynamisch ausdifferenzierte, transparent symbiotisierte, frappante Wendungen nehmende Aggregatzustände ihre Flüchtigkeit und emotionale Dringlichkeit zum Glänzen brachten. Außergewöhnlich war zudem die Genauigkeit im Formverständnis der spontanen Schöpfungen, eine entscheidende Fähigkeit für die Realisierung Improvisierter Musik, wodurch der  Entstehungsprozess in seinen inneren wie äußeren Strukturen eine nicht häufig anzutreffende, zwingende Schlüssigkeit erlangte. Zusätzliche Qualität stellte sich durch das „In-Sich-Ruhen“ der Protagonisten ein. So waren die Töne und Klangfarben stets richtig platziert, was ihnen ihre Gewichtung verlieh. Das rhythmische Gefüge war, gleich wie das harmonische, keiner gängigen Periodizität unterworfen. Es dehnte sich in asymmetrischen, elastischen Pulsationen aus. Zumeist in einem quecksilbrigen Tempo, das dann doch ab und an im Zuge  unbegleiteter Soli oder bei Duokonstellationen heruntergebrochen wurde. Ein solcher Moment war der grandiose Monolog von Peter Herbert – fokussiert, den Tönen Raum gebend, der Musik Substanz einspeisend. Oder einmal mehr Graewe mit seinen kristallinen Gebilden. Von besonderer Prägnanz waren weiters ein irrwitzig verschlungenes Duett von Dunmall und Graewe bzw. eine Quartettsequenz, wo sich abstrakte Verästelungen mit ausragenden Klangqualitäten in berückend hymnische, mit einer von Dunmall eingebrachten coltraneschen Färbung versehene Klangflächen verwandelten. An diesem Abend ereignete sich Improvisierte Musik in seiner klarsten Form hinsichtlich Struktur, Ausdruck und Kommunikationsebene. Übersetzt in einem von Graewe entwickelten, eigenmächtigen Idiom, gezogen aus den Diktionen europäische Musiktradition und experimenteller Jazzkanon. Weltklasse.