17. November 2016
Von Hannes Schweiger

MI 16. NOVEMBER 2016
Tanz die Dekadenz
Naima-Marilyn Mazic & William Ruiz-Morales
LANDL & HORNEK & RIEGLER

Willi Landl (voc), Michael Hornek (p, tp, keys), Leo Riegler (electronics)
STUDIO DAN
Daniel Riegler (leader, composition), Clemens Wenger (p, keys, electronics, composition)
+ 18 MusikerInnen

Das Inro dieses kunstsinnigen Abends gestalteten auf sehr subtil, stoffliche Weise die Tanz/PerformancekünstlerInnen Naima-M. Mazic aus Österreich und der Kubaner Ruiz-Morales, die auch für Choreographie und Dramaturgie verantwortlich zeichnen, mit ihrem Tanz/Musik-Projekt „Sharing Home“. Zu deren Umsetzung haben sie noch zwei Tänzerinnen/Performerinnen und das MusikerInnen-Quartett Klangzeug Orchester hinzugezogen. In einer intensiven Arbeitsphase war ein multimediales Stück entstanden, das den Begriff Home (Heimat) in künstlerischer Bezugsetzung abhandelt. In schwelgenden Grundzügen, in fokussierter Beweglich- und Klanglichkeit. Die Musik die afrokubanische Anregungen aufnimmt, speziell betreffend des rhythmischen Aspektes, und diese spannungsreich in ein modales Jazzterrain verpflanzt, befand sich mit der tänzerischen Ausdruckssprache, die eine feine Synergie aus schroff und geschmeidig bildete, in einem regen, organischen Austausch. Gelegentlich beanspruchte die Musik jedoch zuviel Raum für sich. Ein hochmotiviertes, engagiertes, twenty something Kollektiv.

Mit der Dekadenz beschäftigte sich im „Hauptabendprogramm“ zuerst das Trio Landl & Hornek & Riegler. Von artifiziellen, interferenten Soundscapes umspült, die zeitweise wie R2D2 in Weinlaune klangen, immer wieder unterfüttert von harschen Break-Beats, verkündete Landl seine Sprachexperimente – inhaltlich sarkastisch, dadaistisch, bizarr. Die Texte waren explizit vorgefasst, wobei durch das gelöste Interplay zwischen den Musikern, des Öfteren der Eindruck entstand, dass diese auch aus dem Stehgreif erimprovisiert wurden. Wie überhaupt die Musiker ziemlich gewandt mit der Spannungsintensität der Momenthandlung umzugehen wussten. Als Ausgangspunkt dürfte es maximal „Head Arrangements“ gegeben haben. So wurden abstruse Songs, von noisig, trashigen Klangwusten aufgesogen. Großartig war dahingehend eine durchgeknallte Version von Aylers „Ghosts“.   In die kauzige Vergnüglichkeit platzten dann doch einige Längen, anhand derer die  polarisierenden Handlungsstränge an Bissigkeit einbüßten.

Schlusspunkt: Der MusikerInnen-Pool Studio Dan, der je nach Projekt in unterschiedlicher Besetzungsstärke agiert, gehört zweifelsfrei zu den vielsagendsten Großformationen hierzulande, die durch die kompositorischen/ konzeptuellen Visionen der beiden diesbezüglich Hauptverantwortlichen, der Posaunist Daniel Riegler und der Pianist Clemens Wenger, einen „eigenmächtigen“, profunden Ansatz zwischen einer tiefverwurzelten, aufgeschlossenen Jazzrhetorik und den der klassischen Avantgarde des 20. Jhdts entstammenden Klangeindrücken und –qualitäten ausfindig gemacht haben. Das Programm Dekadenz wurde überarbeitet und in opulenter Besetzung präsentiert und war auch als Statement gegen die globale gesellschaftlich Verrohung und den um sich greifenden Respektverlust angelegt. Ideenreichtum und große Arrangierkunst markierten die kniffligen Stücke. Dicht verwobene kompositorische Strenge, in der jede Menge harmonischer Waghalsigkeiten eingeflochten sind, und die Grund der leichthändigen Umsetzung der hochklassigen MusikerInnen eine grazile Beweglichkeit erlangten, glitt bruchlos in Fenster aufstoßende Improvisationskonzepte hinüber. Eine solche Situation nützte der Saxophonist Clemens Salesny zu einem aus den Nähten platzenden, stürmischen Solo, kommentiert von polytonalen, berstenden Ensembleclustern. Den hochindividuellen Ensemblesound zeichnet das effektive Changieren zwischen wuchtigen Klangblöcken und feinziselierten Gespinsten aus. Aber auch für Humoreskes war Platz. Es fand seinen Ausdruck als der Elektroniker Leo Riegler sich zu jazzimmanent, nonchalant swingenden Soundwalls ein Schnitzel zubereitete. Ein kompromissloses, klangfanatisches Ensemble mit enorm viel authentischer Energie und unbeugsamer Haltung. Und sie gehören mit einem Haufen anderer bemerkenswerter MusikerInnen und Ensembles zu jenen, die den österreichischen Jazz permanent unter Strom setzen. Dekadenz als Widerstand.