DO 26. JANUAR 2017
Free Jazz-Deutung im Jetztzeit-Modus
DAVE DOUGLAS/ MARC RIBOT/ SUSIE IBARRA "New Sanctuary"
Dave Douglas (tp), Marc Ribot (e-g), Susie Ibarra (dr, perc)
Drei umtriebige Drahtzieher der New Yorker Jazz-Avantgarde haben sich zusammengetan um einer Neuauslegung einer über zwanzig Jahre alten Komposition von Dave Douglas nachzugehen. Diese heißt „Sanctuary“, inspiriert von den Möglichkeiten der Architektur, und wird nun zu „New Sanctuary“ umgemodelt. Zwölf Skizzen hat Douglas angefertigt, jedes einen Notenzeile lang, die als eine Art vorgegebenes Passepartout für die, von den Anregungen ausgehend, frei assoziativen Improvisationen fungieren. Ein anfänglich sprödes, bizarr verästeltes Klangumfeld reifte in einem engverzahnten Ideenaustausch zu herzhafter Ereignishaftigkeit, prall angereichert mit vitaler Motorik bzw. energischer, ausdifferenzierter Expression. Als gedanklichen, stimmungsmäßigen Aufruf gaben sich die drei MusikerInnen das Referenzieren über das Free Jazz-Idiom aus. Diesen Impetus formulierten sie mit eingehendem Wissen und einem geneigten Zuspruch zu jener Spielhaltung und ihrer Ästhetik aus. Transformiert durch die Erkenntnisse, die ihnen dadurch eröffnet wurden, aber eben auch vernetzt mit der Klangkultur der Gegenwart. Beeindruckende Souveränität bestimmte das Spiel mit den Momentimaginationen und der einhergehenden unmittelbaren Formgebung. Aber auch das originäre Profil jeder einzelnen Stimme festigte den Tiefgang der Musik. Douglas näherte sich unter anderem in würdiger Form dem strahlend schnoddrigen Ton und der elementaren Melodiebildung Don Cherrys an. Diese Charakteristika ließ er geschmackssicher in sein jazzhistorisch umfassendes, eigengeprägtes Spiel einfließen. Verdichtet in kurze, erhitzte Sketches, verpackt in brillante weitgespannte Tonketten, die durch modale Skalen oder unorthodoxe Changes rasten bzw. punktuell gesetzt in Klangfarbenaktionismus. Unter dem Motto „While my guitar heavy howls“ gab Ribot sein multiples Können zum Besten. Gelassen schüttete er abstrakte Geräuschballungen aus, filetierte Songstrukturen, schleuderte bluesgetränkte Hooklines und krachende Rocksequenzen in den Raum. Ibarra umspielte diese Äußerungen in der ihr eigenen zumeist „taktlosen“ Subtilität. Sie entwarf entweder quirlige Klangfarbenornamente oder setzte einzelne Soundtupfer. Zusammengefasst in losen polymetrischen Vernetzungen wie auch präzisen Zeitwerten. Der Ereignishorizont des Trios fußte auf einem unverrückbaren Kollektivgedanken, der spontane Korrespondenz auf ungemein hohem Level und eine individuelle Gruppensoundidentität volltönend ausleuchtete. Gut, dass das andere Amerika, das die drei KünstlerInnen repräsentieren, worauf Douglas nachdrücklich verwies und das Ribot mit einem „Trump Nein Danke“-Button unterstrich, lautstark gegen Konservativismus und reaktionäre Gesinnung anspielt. Ein grandioses Klangkompendium als Plädoyer für Offenheit, Respekt und Humanismus. The cry of my people.