MI 22. MÄRZ 2017
Jazz-Archäologie im Zeitfluss
EDDIE HENDERSON QUARTET
Eddie Henderson (tp), Piero Odorici (ts), Darryl Hall (b), Willie Jones III (dr)
In seiner ausgefeilten Stilistik, in den Äther gesetzt mit nuanciert lyrischem, nach wie vor scharf konturiertem, kernigem Ton, steht Henderson neben Lichtgestalt Miles Davis den großen Trompetern des Hard Bop wie Lee Morgan, Woody Shaw oder Freddie Hubbard nahe. Mit Durchbruch des Jazz-Rock, den er im richtungsweisenden Sextett von Herbie Hancock mitgestaltete, elektrifizierte der Trompeter fallweise sein Spiel und gelangte neben Miles, Randy Brecker und Don Ellis zu den dahingehend zwingendsten Ergebnissen. Heute ist Henderson wieder zum natürlichen Ton seines Instrumentes zurückgekehrt. Mit seinem aktuellen Quartett, in das er hervorragende, in unseren Breiten mäßig bekannte, aber unbedingt zu entdecken geltende Musiker geladen hat, kultivierte er ein in sich stimmiges, mit vom Hard Bop herrührenden rhythmischen Ingredienzien versetztes modales, melodisch wie harmonisch flexibles Spielideal. Die Absenz eines Harmonieinstrumentes bot den Musikern demnach weit mehr Raum und Bewegungsfreiheit in ihren linear fortgesponnenen Improvisationen, wobei die beiden Bläser, Tenorist Odorici bestach mit gewichtigem Ton und sehr persönlichem, aus der jüngeren Entwicklungsgeschichte dieses Instrumentes herausdestilliertem Spiel, ihre melodischen Linien ab und an in Phrasierung und Tonbildung ziemlich ausweiteten. Selbst wenn sie sich tradierter Changes bedienten, geschah dies mit einem außerordentlichen Maß an Kreativität. Dass sie auch von einem angebrachten, bewegungsdynamischen Schub profitieren konnten, war der Verdienst des ungemein entspannt dahingleitenden Rhythmusgespanns. Darryl Hall, ein unaufdringlicher Bassvirtuose, der mit satten Walking-Lines respektive wendigen Soli den musikalischen Nukleus befeuerte und der in der stilbildenden afro-amerikanischen Schlagzeug-Tradition stehende Willie Jones, welcher mittels ausdifferenziertem Time-Keeping, speziell sein tänzelndes Beckenspiel, angereichert mit raffinierten Akzentuierungen, war signifikant, die Musik in letzter Konsequenz abheben ließ. Besonders Klassikern des Jazz-Repertoires, wie Fats Wallers „Jitterbug Waltz“, Kenny Barrons „Phantoms“ oder Hancocks „Cantaloupe Island“ (umgemünzt in einen kochenden „Funk-Bop“), gewann das Quartett, nicht zuletzt durch ungemein waches und konzentriertes Korrespondieren, beflügelnd eigenwillige Schattierungen ab. Mit solcherart Selbstverständnis und Frische reflektiert, erlangen Jazzvergangenheit-Reminiszenzen erhellende Wertigkeit und gültige Jetztzeitrelevanz.