17. April 2017
Von Hannes Schweiger

SO 16.April 2017
Vocal-Plural-International
URSZULA DUDZIAK/ NORMA WINSTONE/ MICHELE HENDRICKS/JAY CLAYTON „Vocal Summit Reunion 2017“
Urszula Dudziak, Norma Winstone, Michele Hendricks, Jay Clayton (vocals, electronics)

Zischen, raunen, meckern, gurren, krächzen, keuchen, seufzen, summen, jubilieren, singen, keine der Möglichkeiten stimmlicher Lautmalerei bleibt in den emotionalen Entäußerungen dieser vier grandiosen Doyennes des weiblichen, zeitgenössischen Jazzgesanges ausgespart.

Trotz aller avancierter klanglicher und formaler Erweiterungen lassen die Sängerinnen, jede auf ihre urtümlichste Weise, nie die Besinnung auf die wegbereitenden Vorfahrinnen, Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Shirley Horn, Carmen McRea, Sheila Jordan außer Acht. Mit großer Meisterschaft haben sie den Liedgesang aus seinen Gesetzmäßigkeiten „befreit" und das Wesen der Stimme um extrem expandierende instrumentale Klangqualitäten angereichert. Das weitestgehend frei assoziative Improvisieren in eben diesem non-verbalen Duktus wurde zum musikalischen Nukleus dieser internationalen Formation und erschloss der A cappella-Kunst neues Terrain. Was beim legendären New Jazz Meeting Baden-Baden 1982, damals noch in Begleitung einer fünfköpfiger Band, seinen Anfang nahm, und Anfang der 1990er Jahre in der veränderten, auch jetzt noch gültigen Besetzung seine Fortführung fand, wurde gegenwärtig wieder aufgegriffen. Mit enormer Spielfreude und entspanntester Interaktion, was unmittelbarst von der Bühne nach Vergnügen schrie. Gleich beim eröffnenden „Willkommens-Lied“ auf Basis eines rhythmischen Ostinato über dem Wort „Hello“ breitete sich die im Folgenden ausgekostete abenteuerliche Lustbarkeit des musikalischen Ideenfeuerwerks aus. Die Musikerinnen schmetterten ausgelassene Improvisationen, über spontanen Basslines und rhythmischen Pattern in den  Raum. Dazwischen leuchteten gegenläufige Melodiemeander, polyphoner Satzgesang, exaltierte Scat-Vokalismen, Mehrstimmigkeit, anmutend wie die Swingle Singers in „Outer Space“, kollektiv angestimmte Geräuschcluster und abstrakte Tonfolgenschichtungen in atonaler Flächigkeit, die an Ligetis berühmtes „Lux aeterna“ erinnerten. Fantastisch auch die Interpretation von auskomponierten Vorgaben wie Dave Hollands „Conference Of The Birds“ respektive die Paraphrasenzaubereien über Ellingtons „Take The A-Train“ und Monks „Straight No Chaser“. Zwischendurch gab es  Teilgruppierungen von Solos und Duos. Start Ups waren wie im Kollektiv auch hier zumeist repetitive rhythmische Figuren, die in den Solos von Dudziak und Clayton mit wohlproportioniertem Einsatz von Elektronik (Samples, Loops) zu aufregenden Konversationen mit sich selbst bzw. in den Duos, ergänzt um fixe melodische Motive, zu intensiven Diskursen aufbrachen. Im Zuge der von Spontaneität befeuerten Euphorie über das erneute Zusammentreffen kam die eine oder andere Sequenz, wie etwa im Blues zum Schluss, ins Wanken. Jedoch auch dieses Auseinanderdriften münzten die Musikerinnen mit ihren spezifischen Fähigkeiten der Improvisation im Nu in bizarre Aggregatzustände um. Verblüffend auch die mentale und physische Vitalität dieser Stimmkünstlerinnen gesetzten Alters. Absolute Zustimmung.