Nov. 18, 2019
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

SO 10. November 2019
Überlebensstrategie Musik
SAINKHO NAMTCHYLAK & NED ROTHENBERG
Sainkho Namtchylak (voice), Ned Rothenberg (as, bcl, cl, shakuhachi)

Musik bedeute für sie überleben, “so keep it alive”, verkündete die aus der zentralasiatischen Republik Tuva stammende und derzeit in Wien lebende Sängerin/Musikerin. Und vom ersten Klang an, den sie ihren Stimmbändern, dem Kehlkopf entriss, war dies mehr als deutlich. Ausgehend vom signifikanten tuvinischen Obertongesang hat Namtchylak in der Auseinandersetzung mit Jazzgesang und der Klangästhetik freier Improvisation einen ziemlich einzigartigen Vokalstil/stimmliches Klangproduktionsvermögen entwickelt. Ausführliche Geräuschanteile, die menschlicher Lautäußerung keineswegs fremd ist, bezieht die Stimmperformerin mit natürlich unverbogenem Habitus mitein. In ostentativer Direktheit. Sie krächzt, röchelt, schreit, haucht, gurgelt, brummt, intoniert kindliches Geschnatter, singt folkloristische Melodielinien mit wundersamen Obertonschwebungen, lässt Jazz-Artikulation durchschimmern. All das verschmilzt in ihren im Schamanismus tief verwurzelten, offenen Improvisationen. Sie ist eine urbane Schamanin in der archaische Kraft, rituelle Inbrunst lodert. Doch ist sie ebenso hochsensible Interakteurin. Mit dem amerikanischen Saxophonisten Rothenberg, Altvorderer der NYer Downtown-„Eisbrecher“, duettiert sie in Abständen seit über zwei Jahrzehnten. Rothenberg hat gleichsam eine individuell extrem ausgefeilte Spielweise entwickelt. Durch Verschleifungen gelangte er zu flirrenden Obertongirlanden, er durchmaß Mikrotonalität, potenzierte mit Multiphonics. Bravourös und komplex. Genauso strukturierte er die Extempores mit bohrenden, groovigen, teils auf unglaublicher Flatterzungentechnik basierenden Ostinaten, die Namtchylak zu exzentrischen Offenlegungen antrieb. Guttural bis kopfstimmig. Einem Zischen folgte der bestialische Schrei. Die Bassklarinette umschloss die vokalen Freigaben mit niederfrequenter Körperlichkeit. Das Altsaxophon erzeugte durch Polyphonie in der Verschmelzung mit Mehrfachklangfarben der Stimme etwas Chorhaftes. Auch brach das Geschehen auf Einzeltonreibungen herab. Namtchylak exploitierte mit Geräuschtrauben, Rothenberg schleuderte Splitterklänge hinzu. Und sie waren auf berückende Weise eins. Imaginationskraft des Augenblicks, Kreationen des Soeben – existentiell verankert. Namtchylak und Rothenberg schufen Gebirge der Fantasie. A way to survive.