Jan. 27, 2020
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DI 21. Januar 2020
Weibern und das große Lautmalen
CHRISTIAN MUTHSPIEL & ORJAZZTRA VIENNA / DUO 4675
Vorspann: ORJAZZTRA Piccola – DUO 4675
Beate Wiesinger (acc-b, voc), Astrid Wiesinger (as, voc)

ORJAZZTRA VIENNA
Lisa Hofmanninger, Astrid Wiesinger, Ilse Riedler, Gerald Preinfalk, Robert Unterköfler, Florian Bauer (reeds), Gerhard Ornig, Dominik Fuss, Lorenz Raab, Alois Eberl, Daniel Holzleitner, Tobias Ennemoser (brass), Philipp Nykrin (p), Beate Wiesinger (e-b), Judith Ferstl (acc-b), Judith Schwarz, Marton Juhasz (dr, perc), Christian Muthspiel (cond, composition, musical director)

Gewandet in feinstoffliche XXXL-Overalls, einer rot, einer blau, glühten die beiden Schwestern Astrid und Beate Wiesinger diesmal den Orjazztra-Streifzug vor. Den Projektnamen, den sie wählten, „Duo 4675“ – die Ziffern markieren die Postleitzahl des oberösterreichischen Ortes Weibern (aus dem die beiden Musikerinnen auch stammen), entbehrt nicht einer gewissen Originalität, und ist zudem ein selbstbewusstes Statement, hinsichtlich femininer Gleichstellung und Kreativität. Dem Genüge tuende Dringlichkeit und Überzeugungskraft begleitete das Austreiben der aufregendsten Musik dieser beiden famosen Musikerinnen. Hochschwellige zeitgenössische Jazzerzählung, genährt von den pluralistischen Eroberungen dieser Universalsprache. Sie zogen zunächst von einem hypnotischen Bassostinat los, wie mächtig der Bass vibrierte, aus dem heraus die Saxophonistin eine gleißend sehsüchtige Melodieschlange ersann. Immer weiter trieb sie ihre Improvisation in tonale Randbereiche, so wie ihr der Schnabel gewachsen ist, bis dann auch der frenetische Schrei Ausdruck begehrte. In Astrid Wiesingers Stilistik spiegelt sich auf ganz persönliche Weise vieles von Eric Dolphys progressiven, stilbildenden Entwicklungsschritten wieder. Ausdifferenziert und uneingeschränkt. Die „Bass-Schwester“ spornte mit geschmeidig muskulösen Walking-Phrasen, findige Melismen immer parat, unaufhörlich an. Ebensolches Gespür für Time und rhythmische Risken aufbietend. Ungeschminkte Direktheit, freimütiges Changieren zwischen schwärmerischer Verspieltheit und abstrakter Querdenkerei – in harmonischer/melodischer Opulenz eingefasst, eine Antenne für Formgebung, Intensität und Kontrast, schließlich der musikalische wie performative schelmisch formulierte Spielwitz treiben einen in die offenen Arme der geschwisterlichen Musik. Genauest haben die beiden die Quellgebiete des Jazz erörtert (Dolphys Duo mit dem Bassisten Richard Davis dürfte wesentlich gewesen sein) – jetzt Nährsalzlösung für kreatives, improvisationserlegenes Weiterziehen. Ausklingen ließ das Duo ihr Aufspielen in einer wiffen Humoreske: über einem Dubstep-Groove trällerten sie zappaeske Vokalismen während sich die Overalls kugelfigurmäßig aufbliesen. Mit ihrer „Feuer Musik“ positionieren sich Astrid und Beate Wiesinger als momentan beglückendste, einfallsreichste Stimmen des Neigungszirkels Jazz hier wie dort.

Dann der dritte Durchlauf der „Orchestral Favorites“ von Christian Muthspiel. Das Repertoire ist grundsätzlich unverändert. Auch die Abfolge. Jedoch spendeten die Improvisationen der MusikerInnen , für die der Orjazztra-Chef mit magnetischem Bedingen zur kalkulierten Tonsetzung gebührend Raum offen hält, den Werken jeden Menge neuer Klangfarbennuancen und Stimmungsbilder. Hierbei waren, ziemlich auffallend, die Musikerinnen, origineller und wagemutiger als die Herren, die ein wenig zu ergeben Jazzkonventionen und abgehandelten Changes anhingen. Jedoch schienen diesem Umstand die jeweiligen Stücke Rechnung getragen zu haben. Zudem diesmal Muthspiel den tradierten Korrekturstift öfters angesetzt haben dürfte und einen deutlicheren Hang zu Big Band-mäßigem Jazzklassizismus zeitigte. Sein leidenschaftliches Antreiben respektive Dirigat fachte jedoch die Lebendigkeit und den Energielevel der Umsetzung unablässig an.  Kulminationsmomente schlechthin: wenn orchestrales „Losbrüllen“ – scharfe Riffs, tosende Cluster – mit aufgefächerter Polyphonie alternierte, freie Agogik  sich mit Steady Rock-Groove matchte oder Figuratives in Abstraktion überging und retour. Fesselnd in eben dem Maße außerdem das Permierenstück des Abends. Das ausständige Feature der beiden Schlaginstrumenteverantwortlichen. Sein ganzes Wissen und Können warf Muthspiel da abermals in die Waagschale, denn nichts lag ihm ferner als ein vordergründig schaustellerisches Drum-Duo. Unter kompakten aber transparenzorientierten an- und abschwellenden Orchesterwogen, an rhythmische Elastizität gebunden, spielten Judith Schwarz und Marton Juhasz mit Rhythmusandeutungen, offener Metrik, Klangfarben und Auslassungsintensität. Assoziation war der Traum unter Wasser atmen zu können. Fraglos eine Bereicherung der Orjazztra Literatur. Christian Muthspiels Jazzfiktion bleibt ein wunderbares, eloquent konzipiertes Durcheinanderfließen akustischer Quellen, pluralistisch angelegt, gebündelt zu einem expressiven Massiv. Einem Massiv voll verlockender Herausforderungen und aufregender Abstufungen.