Oct. 10, 2023
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DI 26. September 2023
Liederabend für den Humanismus
MICHAEL MANTLER „THE NEW SONGS ENSEMBLE“
Michael Mantler (tp, comp), Annie Barbazza, John Greaves (voc), Gareth Davis (bcl), Bjarne Roupé (e-g), David Helbock (p), radio string quartet: Bernie Mallinger, Igmar Jenner (violin),
Cynthia Liao (viola), Sophie Abraham (cello)

80 Jahre Michael Mantler, 30 Jahre Porgy & Bess. Welch feines Zusammentreffen für einen unprätentiösen, gehaltvollen musikalischen Abend um einen herausragenden österreichischen Musiker und eine gleichsam verdienstvolle Initiative, genaugenommen unverzichtbare Institution der globalen Jazzclub-Szene zu feiern. Mantler, vor längerem beschlossen habend keine neue Musik mehr zu schreiben, hat nun zumindest einige Songs aus seinem OEuvre runderneuert. Darunter einige, welche er in seinem letztjährigen Programm „Songs“ in großer Besetzung mit umfangreicher Vokal- und Bläserabteilung realisierte. Nunmehr hat der Komponist für die Neufassungen eine abgespeckte, kammermusikalische Ensemblegröße gewählt. Wie man weiß ist das Interesse Mantlers an der Symbiose von Literatur und Musik ein großes. Abermals bilden sprachneuernde Weltliteratur einiger seiner Favoriten - Ernst Meister, Samuel Becket, Giuseppe Ungaretti, Harold Pinter – aber auch eigene Texte, die die sich ausbreitende menschliche Verrohung, die Diffamierung des Respektverhältnisses, den zunehmenden Abbau an Sozialhygiene ansprechen, die Sprachbasis der Lieder. Zu diesem Behufe war und ist Mantler ständig auf der Suche nach prädestinierten, charakterhaften Stimmen. Wiederum hat er eine solche entdeckt. Jene der jungen italienischen Sängerin Annie Barbazza. Eine der derzeit bestechenden Stimmen des Progressive Rock. Gemeinsam mit John Greaves, seinerzeit Bassist/Sänger der famosen Free Rock-Band Henry Cow, mit dem sie auch ein Duo unterhält, verleiht sie den Texten musikalische Wertigkeit. Voller Herzblut und Dringlichkeit. Entlang von Mantlers mollig linearen Melodiefortschreitungen, die auch dessen legatomäßiges Trompetenspiel prägen, das diesmal in seiner strengen Sangbarkeit besonders leuchtet. Zu Barbazzas extrovertierten Vokalismen setzt Greaves den verlangten ruhepoligen Gesangspart. Text und Musik lumineszieren in verwinkelten Leitlinien. Und wie auch beim Instrumentalmaterial nützt Mantler Grundlagen verschiedener Idiome  als Transmitter für SEINEN musikalischen Bauplan. „Ich verwende alles, es kommt auf die Gelegenheit an“, äußerte Mantler einmal in einem Interview. Die komplexen, dunkelfarbigen Arrangements der Songs sind gefasst in einer Diktion bestimmt von nonkonformen Intervallen, synkopisch-aperiodischer und gleichzeitig schlagkräftiger Rhythmik in der etliches an Rockgestus steckt, eingedenk vertrackter Taktwechsel, sowie sich überlagernder polyphoner Stimmführungen die als dichte, aber keineswegs alles überdeckende, Rasterungen konstruiert sind. Ausgangspunkt in den textbasierten Stücken ist eine signalartige Motivik. Abgeleitet von den Texten. Die Tonalität, häufig durchchromatisiert, ist bis an die Grenzen gedehnt. Mit einer sperrig romantischen Eleganz, die einer klagenden Nachdenklichkeit gleicht. Aber keine desillusionierende, resignative. Vielmehr ein Anstoß zu gesellschaftspolitischem Umdenken. Mit seinem wunderbaren Eigensinn verteilte Mantler die Texturen auf die einzelnen Instrumente, Instrumentengruppen. In zurückhaltender Virtuosität. Pianist Helbock und das radio string quartet betreiben die fassettenreiche harmonische Rhetorik, in der ungewöhnliche Klangfarben blühen, Bassklarinettist Davis nimmt zudem die rhythmische Initiativrolle ein. Roupé belebt die melodisch kontrastierenden, langgezogenen Schwellklänge. Bemerkenswert einmal mehr wie Mantler den Klangkörper zu einem konzentrierten, ineinandergreifenden Organismus zusammengezogen hat. Eine locker eloquente Präzision vermittelnd. Obendrein steckt in den Songs eine Weitervermessung der Weill-/Eislerschen Errungenschaften für das Kunstlied.

Mantler inszeniert Lieder für gegenseitiges Verständnis. Als weitere wertschätzende Geste an diesem Abend wurde Michael Mantler das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Wird das auch die Türen zu Tempeln der Hochkultur öffnen?  Ansonsten, im hochstufigen Jazzclub sind immer Tür und Tor geöffnet. Punktum.