Dec. 29, 2023
By Hannes Schweiger

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SO  17. Dezember 2023
Wenn der Nachbar dreimal klingelt
DIETER GLAWISCHNIG BERLIN TRIO
Dieter Glawischnig (p), Jan Roder (b), Michael Griener (dr, perc)

Von wegen die Bürde des Alters. Der alte Großmeister wischt das mit Vitalität und einem zwingend kanalisierten Kreativschub vom Tisch. Seine bemerkenswerte musikalische Vita mit den unumstößlichen Marksteinen im Jazzkosmos, hierzulande wie global, spricht und umfasst Bände. Immer noch brennt es Dieter Glawischnig unter den Fingern. So begab sich im Vorjahr im Rahmen eines Festivals die Begegnung mit den beträchtlich jüngeren Berliner Kapazundern Roder und Griener. Glawischnig wähnte sich an die telepathisch sich anfühlende Interaktion des in den 1970er Jahren von Ewald Oberleitner, John Preininger und ihm gebildeten Trios Neighbours erinnert. Ebenso begründet in aktuellem Trio der spontane Improvisationsdiskurs die Handlungsbasis. Maximal rudimentäre Headarrangements dienen als Bezugspunkte. Wesentlich bei diesen ad hoc-Vermessungen sind motivische wie formale Ereignisse/ Szenarien. Temperiert wie untemperiert, polytonal, modal wie atonal. Auch hier war große Empfindsamkeit, Phantasie im Spiel. Den Anstoß gab Glawischnig mit einem einnehmenden Ostinat in der Basslage der Tastatur.

Bass und Schlagzeug umspielten, färbten diesen umgehend mit fein austariertem Changieren zwischen rhythmischen Festlegungen und losgelösten Klangtexturierungen bzw. melodischen Fragmentierungen. Die Glawischnig spitzen Ohres reflektierte. In immer neue motivische Eingebungen oder aussparenden Blockakkordwanderungen, nach wie vor virtuosen, nur dem Wesentlichen verpflichteten Singlenote-Fließbewegungen oder kontrapunktischen, rhythmisch wie melodisch, Gesten kanalisierend. Ohne jegliche Geschwätzigkeit auf seinen reichhaltigen Erfahrungsschatz sich souverän berufend. Eine der besonderen Eigenheiten des Pianisten, über die Jahrzehnte zu höchster Qualität geschärft, ist sein Sensorium für musikalischen Raum. Faszinierend die Genauigkeit in seinem Reduktionismus. Gekennzeichnet durch die Wandelbarkeit - poetisch konkret und energisch euphorisiert. Reaktionsschnell reagierten Glawischnigs Partner auf den Intensitätsgrad und den Dynamikzustand des Schaffensprozesses. Elastisch in der rhythmischen Auffassung, die bedacht in alle Richtungen gedehnt wurde, autonom korrespondierend in den melodischen Biegungen. Hinzu trat eine geschmeidige Körperlichkeit. Diesbezüglich ist vor allem Glawischnig immer wieder Initiator. Ein ständiges klingendes Bewegtsein. In dem Sound, Rhythmus, Puls, Ton, Geräusch, Beat, horizontale, vertikale Texturen nicht mehr trennbar sind.  Ein eingängiges Liedfragment tritt genauso selbstverständlich auf wie abstrakte Klanglabyrinthe. Phantasiestimulationen liefen unter den Musikern unentwegt ab – spontan organisierte Improvisation voll innerer Logik und stringenter Griffigkeit. Das Jazzidiom ist dem Trio eine Herzensangelegenheit, doch auch die europäische Kunstmusikentwicklung, das ist Glawischnigs pluralistisch fundiertes Zutun,  muss seinen Platz haben. Bei den beiden Encores gehörte der Humor dann noch offenbarer zur Musik. Da war zunächst eine hinreißend skurril dargebotene Version von Fats Wallers „Aint Misbehavin´“ als Duett von Roder und Griener, gefolgt von der perkussiven, klanglichen Dekonstruktion der beiden eines üppigen Chorales den Glawischnig aus der Tatstatur empor holte. Anregendste Nachbarschaft.