Feb. 8, 2024
By Hannes Schweiger

Sorry this part has no English translation

DI 23. Januar 2024
A Flower Is Lovesome Thing
MARY HALVORSON AMARYLLIS SEXTET
Mary Halvorson (e-g), Adam O´Farrill (tp), Jacob Garchik (tb), Patricia Brennan (vibes), Nick Dunston (b), Thomas Fujiwara (dr)

Dem floralen Namen des Ensemble entsprechend ist festzuhalten, dass die Saat so richtig aufgegangen ist. Mary Halvorson, die so auffallend eigenwillige Gitarrenstilistin hat ihren jüngsten Stücken eine energieforcierende Inhaltlichkeit eingeschrieben. Die für sie kennzeichnende Flexibilität, die Überlagerung unterschiedlicher Klangsituationen, die Zweideutigkeit der Tonalität sind um eine kinetische Fassette bereichert worden. Zudem hat sich Halvorsons Gabe die spezifischen Fähigkeiten der einzelnen Charaktere herauszufordern erheblich entwickelt. So sind die Tonsetzungen in sich schlüssige Systeme in der die Legierung Komposition/Improvisation ein sich bedingendes Mischverhältnis auszeichnet. Halvorson liebt das Labyrinthische, Spiegelungen, verquere Verschachtelungen, das Unerwartete aus dem Stehgreif. Letzteres lässt auch die Improvisationen der ProtagonistInnen fulminant ausreifen. Die Klammer bildet dennoch eine unkonventionelle Auffassung von Form. Vorwärtsgedacht. Geschickt durchwirkt Halvorson die harmonischen/melodischen Progressionen wie die rhythmischen Rasterungen mit den Zuständen Spannung/Entspannung. Feinste Webmuster mit kontinuierlich sich verändernden Motiven sind das Ergebnis. Dabei verströmt die Musik eine unbändige Unbeschwertheit – eine anziehende Leichtigkeit des Seins. In einer Filigranität, die enorme Massigkeit besitzt. Verortet in immer orientierungsoffensiver Polytonalität, Polyrhythmik, lusttrunkener Polyphonie. Wissend vermengt die Komponistin Anstöße  aus den Idiomen Jazz (dessen experimentelle Organisationsformen) und neue komponierte Musik, fallweise marmoriert mit Rockfärbungen, zu ihrer ganz persönlichen Gemengelage. Carla Bley und Anthony Braxton waren ihr da sicher große Ratgeber. Die ausgedehnten Räume zwischen den Strukturvorgaben füllten die MusikerInnen extemporierend mit geballten Kreativentladungen. Im Besonderen auffallend: die Vibraphonistin Brennan, Trompeter O´Farrill und Nick Dunston am Bass, dessen Ton eine unglaubliche Fülle und Gravitation hat. Halvorson selbst war betreffend Soli sehr zurückhaltend. Doch wenn sie es anpackte blieb kein Ohr ungespitzt. Laisser-faire mit erheblich klanglichem Witz. Was bestimmt Halvorsons Musik, ihre Kompositionen: Wandlung, Veränderung, Aufbruch. Doch den musikalischen Nachlass aus welcher Richtung auch immer, hat sie unweigerlich im Ohr. Hinzu kommt, was ihre Phantasie anbelangt, dass eine Analogie zur Vielfalt der Amaryllisgewächse gegeben ist. Ausgefeilte dramaturgische Strategie, der Formaufbau, ein schlüssiger Bogen, die Stehgreifentäußerung sind die entscheidenden musikalischen Leitfäden dieser sanguinischen Klangrede.