10. März 2020
Von Hannes Schweiger

MI  04. März 2020
Zeit des Erwachens 
TOM HARRELL´S INFINITY BAND
Tom Harrell (tp, flh), Mark Turner (ts), Charles Altura  (el-g), Ben Street (b), Adam Cruz (dr)

Die tritt bei ihm ein, der im alltäglichen Leben ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen ist, wenn er in der Musik ist, wenn er im Ozean der Klänge dahintreibt. Allerdings zeigt er sich, in den mittleren 70ern, in für seine Lebensumstände sehr guter Verfassung.  Um sich geschart  hat er neuerlich eine horrende Band aus exzellenten, um vieles jüngeren Musikern seines Vertrauens. Versammelt im Leitsystem einer aufgeklärten Jazz Moderne mit einem ausformuliertem Blend aus Hard Bop-Formeln und modal gefassten Praktiken. Obendrein auf- und abgeklärt in jeder Hinsicht. So erfüllten Harrells charakteristische, verbindliche Themen, chromatisch skizziert, die Katapultfunktion der improvisatorischen Weiterführungen. Gewichtet durch beeindruckende Präsenz der Musiker. Den entsprechenden Fokus beherrschten Harrell und Turner. Der Trompeter schlüpfte unmittelbar in die Rolle eines Meisters der Kernaussage. Ganz große Erzählkunst breitete er aus – niemals verzweifelt oder wehklagend sondern lebensmutig, vital strotzend. Strukturiert anhand enormer Sensibilität und seltenen Gespürs für Ökonomie und Balance. Sein Spiel an Trompete und Flügelhorn ist nach wie vor einzigartig. Den Vorzug gibt er ja ersterem Instrument. Quellenhinweise bezüglich der Jazzgeschichte der Instrumente ließ er würdigend anklingen, doch den Stil den er daraus formt, ist ein ganz eigener. Funktionsharmonische Grundlagen schichtete Harrell äußerst sensibel um, zerpflückte diese, modellierte sie zu etwas Neuem, Überraschendem, wechselte zwischen Skalen, gleitete in erweiterte Tonalität hinüber. Bannend welch famose Intonation und Phrasierung er anwendet. Wie erfrischend er mit Jazz-Normativen umspringt. Melodische Fügungen besitzen immer die Anzeichen von Unerhörtem. Mark Turner steht in sensorischer Verbindung zum Trompeter. Eine enge Koinzidenz sticht hervor. Das mündete in konzise edle kontrapunktische Dialoge und animative Parallelführungen. Mark Turner, eine Lichtgestalt des heutigen Jazzgeschehens, verfasste ein State of the Tenor. In der Zeit, afroamerikanisch verwurzelt. Großer sonorer Ton, der improvisatorische Fluss fulminant. Die Fackel von Rollins fest in der Hand, als eigene Persönlichkeit. Betreffend Individualität lässt die sogenannte Rhythmuseinheit, Betonung auf Einheit, ebenso wenig Fragen aufkommen. Das rhythmische, metrische Räderwerk, die harmonischen Texturen hielten sich mit Diversität keinen Moment lang zurück. Cruz, Street und Altura offerierten mit außergewöhnlicher Reaktionsfähigkeit in einem definierten Handlungsspielraum größtmögliche Unlimitiertheit. Differenzierter Vorwärtsdrang,  subtilst gelenkter Andruck – „anti-statisch“. Outstanding! Ein reicheres Potential zum Anregen einer inneren Bewegung bei der Hörerschaft ist nicht vorstellbar. Tom Harrell, der seine Bands darauf einzuschwören weiß, spielt wohl den heute-positioniert formelastischsten, abnützungsbefreitesten Jazz-Historismus. So strahlt Unendlichkeits-Musik.