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„Wir streben eine totale Musik an, die alle momentan verfügbaren, zeitlich bedingten Empfindungen und musikalischen Möglichkeiten umfasst.“ So lautete der Kernleitsatz des Multiholzbläsers Fritz Novotny, der bereits Ende der 1950er Jahre, unter prägendem Einfluss außereuropäischer Kulturen, wodurch generell seine liberale, respektzeugende Haltung und seine Freigeistigkeit herausgebildet wurde, zaghafte Versuchen freier Improvisation unternahm. Etwas früher begann ein Kollektiv namens Masters Of Unorthodox Jazz (Walter Malli, Harun Barabbas, Ahmad Pechoc, Toni Michlmayer, K.A. Fleck) mit schon ausgereifteren Ansätzen in diese Richtung. Doch Fritz Novotny sollte mit der Gründung (1965) des besetzungsvariablen Kollektivs „Reform Art Unit“, der Konsequenteste und Entschlossenste bleiben und zur zentralen Figur des Wiener Zirkels freier Improvisation, dem irgendwann der etwas fragwürdige Terminus „Wiener Schule für frei Improvisierte Musik“ zugeschrieben wurde, avancieren. Engster Wegbegleiter bis zu seinem Tod 2015, war der Trompeter und Pianist Sepp Mitterbauer. Im Laufe der Jahrzehnte bildete sich um die beiden ein Kreativpool gleichgesinnter Musikerinnen und Musiker die unter Novotnys Initiativdrang non-konforme eigene Wege freier Improvisation beschritten. Neutönend, autonom, formal ungebunden, Tonalität und Atonalität als unabdingbare Einheit verstehend. Novotny betonte aber stets, dass er seine Klangvisionen nicht als Protestmusik verstanden wissen will, da ihnen ein positives Konzept innewohnt. Angeregt von der Radikalität des afro-amerikanischen Free Jazz, ausgewählter ethnischer Musiken, den Klangeindrücken, -qualitäten der Dodekaphonik der zweiten Wiener Schule (inklusive Josef Mathias Hauer). Die RAU verkörperte fortan einen Werkstattcharakter. Die Besetzungen wechselten je nach Inhaltlichkeit der Projekte vom Duo bis zur Großformation. Das Kollektiv schrieb neuere österreichische, international durchaus beachtete Musikgeschichte was Improvisierte Musik anbelangte. Novotny unterzog sein Konzept folglich einer immer feineren Ausdifferenzierung. Eine Fülle an Namen heimischer ProtagonistInnen könnte genannt werden, die dieses originäre Konzept vollinhaltlich mittrugen. Hier einige: Paul Fields, K.W. Krbavac, Giselher Smekal, Walter Malli. Ständig stießen detto junge MusikerInnen dazu und es bildeten sich auch temporär RAU-Splittergruppen. Zu nennen wären u.a. Three Motions, Clan oder Wide Fields. Gleichfalls gab es vor allem in den 1970er Jahren intensive internationale Kontakte, die zu Begegnungen mit namhaften InnovatorInnen der Jazz-Avantgarde wie beispielsweise Carla Bley, Michael Mantler, Evan Parker, Alex v. Schlippenbach, Anthony Braxton, Andrew Cyrille und speziell mit Sunny Murray führten. Novotny war aber ebenso ein unermüdlicher Vermittler seines „abstrakt kammermusikalischen“, oder wie er es gerne beschrieb, „meditativen“ Klangkosmos.
Wie soll man ihn denn charakterisieren den Gründer der RAU: „Initiativer, unbeugsamer Kreativgeist, ruheloser Motor, Klang-Choreograph freigeistiger Echtzeitmusik? Novotny war Zeit seines Lebens der unbequeme Querdenker, der scharfsinnige Analytiker von Kunst und Gesellschaft, der eigenwillige Fährtenleger eines Ansatzes mondialer Improvisationsmusik. Dessen Definition formulierte er derart: „Ich bezeichne das Konzept der RAU als spontane Synthese aus allen Tonsystemen und Musikarten, unter freier Verwendung einer rhythmischen und harmonischen Skizzierung.“ Was Novotny dabei unaufhörlich förderte: die Imaginationskraft der MusikerInnen, die Elastizität der Gruppendynamik, unorthodoxe Reformklangsetzungen, unumwundene Wahrhaftigkeit und wachsame Jetztzeitigkeit. Wahrlich freigelassene Musik kollektiver Gestik. In jüngerer Vergangenheit wandte sich Fritz Novotny wieder verstärkt offenen Konzepten für große Besetzungen zu, die unter dem Namen reformARTorchestra firmierten. Mit diesem Kollektiv realisierte er einige Hommagen an verstorbene, von ihm verehrte Lichtgestalten des Jazz: Sunny Murray, Cecil Taylor, John Coltrane und zuletzt geplant Sun Ra, wozu es leider nicht mehr kam. So spontan Fritz Novotny sein Leben gestaltete, seine Musik kreierte, so spontan schied er auch aus dem Leben. Von einem Moment auf den anderen – plötzlicher Herztod.
Dazu passt eine Empfehlung, die der zeitlebens ruhelose „Musik-Reformer“ hinterließ: „Absolute Spontaneität ist der Schlüssel für Zukünftiges. Lauschen Sie einer Musik, welche Grenzen zwischen Jazz, Avantgarde, Klassik und Folklore auflöst.“ (Hannes Schweiger)