April 22, 2020
By Hannes Schweiger

Fina-LEE – Nachruf auf Lee Konitz

Sorry this part has no English translation

Fina-LEE

Einer der letzten prägenden Stilisten des Jazz, der Saxophonist Lee Konitz (*1927), verstarb im April dieses Jahres infolge einer Covid-19 Infektion

Angesichts der betrüblichen Nachricht betreffend des Ablebens dieses Jazz-Titanen, schießen einem als Wiener die bewegenden, ungemindert vor Kreativität und Lebenslust sprühenden, nun im wahrsten Sinne unvergesslichen Konzerte des hochbetagten Musikers der letzten Jahre im Jazzclub Porgy & Bess durch den Kopf. Konitz genoss die Aufenthalte in der Stadt, nach eigenem Bekunden freute er sich jedesmal wenn er im Club spielen konnte, besaß er doch zudem eine starke Affinität zu Österreich, weiß Christoph Huber, Capo des P&B, über den humorigen „Grantler“ zu berichten. Begründet durch den Umstand, dass sein Vater in Lemberg, damals im K & K – Hoheitsgebiet gelegen, geboren wurde und sich zeitlebens als Österreicher bezeichnete. Auf weitere musikalische Österreichbezüge soll noch verwiesen werden.

Begonnen hat es Ende der 1940er Jahre im Claude Thornhill Orchestra. Bereits damals schon fiel Konitz als eigenwilliger Stilist und Ästhet auf. Er stilisierte sich zum Antipoden des seinerzeit alles dominierenden Charlie Parker. Nicht dass er die Bebop Evolution nicht zu schätzen gewusst hätte, doch Konitz wertete die Innovationen Parkers, nicht zuletzt begleitet vom Einfluss seines Mentors Lennie Tristano, mit dem er ab ca. 1947 bis Mitte der 1950er Jahre bereits erste Möglichkeiten freier Improvisation untersuchte (LP „Intuition“), als Ansporn seinen Eigenwillen herauszuarbeiten. Diesen skizzierte er bemerkenswert auf seiner ersten Einspielung unter eigenem Namen „Subconscious-Lee“. Ein nächster großer Schritt folgte. Konitz traf Miles Davis, der kurz zuvor ebenfalls aus dem Schatten von Charlie Parker getreten war. Als Mitglied dessen Nonetts/Capitol Band positionierte sich Konitz als einer der Mitbegründer des fortan als Cool Jazz niedergeschriebenen Spielverständnisses. Erster Gipfelsturm, die daraus resultierende legendäre Aufnahme „Birth Of The Cool“. Wie gesagt, Bebop Rasanz jener Tage verleitete den Altsaxophonisten praktizierend nicht. Leitfiguren waren für ihn Lester Young und der Trompeter Roy Eldridge. Er nahm in seinem Spiel das Tempo heraus, bevorzugte das Moderato, verpackte in seine eleganten Motivfiguren enorme melodische Phantasie, konzentrierte sich somit auf die horizontale musikalische Formfortschreitung. Er brachte weiters eine unprätentiöse lyrische Qualität ins Spiel, verband diese mit damals unüblicher dynamischer Ausdifferenziertheit, verlieh dem Umgang mit Pausen neue Bedeutung. Die französischen Impressionisten wehten in seinem Improvisationsansatz herüber, ebenso könnte man die texturelle Schlankheit eines Anton Webern heraushören. Ein Meister der melodischen Paraphrase, der substantiellen Konzentriertheit. Seine entschleunigte Virtuosität, bei der jeder „Klappendrücker“ saß, strotzte vor introspektiver Emotionalität. Immer bedacht Changes- und Lick-Stereotypen zu umschiffen. In vielem war er ein Bruder im Geiste von Miles Davis. Konitz tat zudem das für die Saxophonspielweise was Miles für die Trompete tat. Davis konstatierte 1964: „Tristano und Konitz brachten vor fünfzehn Jahren Ideen, die gewagter waren als all die jetzigen Dinge.“ Alleine das zeigt, dass der Begriff Cool Jazz bei Konitz zu kurz greift und erklärt seinen ungeheuren Einfluss auf nachfolgende Musikergenerationen, den er gleichfalls lange Jahre lehrend ausübte. An Weiterentwicklungen des Jazz/der improvisierten Musik dockte er soundso immer an. Konsequentest seit er auf eigenen Beinen stand. Ab Mitte der 1950er Jahre. In relevanten Projekten in den frühen Jahren mit Warne Marsh, Jimmy Giuffre, Bill Evans oder dem Österreicher Hans Koller dem er 1956 in Europa begegnete. Festgehalten auf der Einspielung „Lee Konitz in Europe ´56“. Letzterer, wie auch etliche andere europäische Jazzmusiker, hegte eine große Wertschätzung für Konitz die sich auch in dem Umstand niederschlug, dass er seinem Sohn den zweiten Vornamen Lee gab.

Tonträgerische Meilensteine hinterließen auch seine Kooperationen mit Elvin Jones („Motion“), Attila Zoller und Albert Mangelsdorff („ZoKoMa“) und das wohl unorthodoxeste Projekt „Duets“ von 1968, bei dem er mit so unterschiedlichen Musikern aus ebensolchen Epochen wie u.a. Ray Nance, Jim Hall, Joe Henderson oder Karl Berger (an dessen Creative Music Studio er auch unterrichtete) in Dialog trat. Konzeptionell sowohl konventionell als auch frei improvisiert. Als Paradebeispiel von „spontaner Komposition“ bezeichnete der Jazzpublizist Martin Kunzler Konitz´ Kunst. Kollege Peter Niklas Wilson sprach von einer Symptomatik der stilistischen Bandbreite in Konitz´ offenem Universum. Trotzallem blieben Standards unverzichtbare Quellgebiete in seiner Musik. Im Laufe seines Schaffens erlangte er eine einzigartige Befähigung, Standards auf deren Kernsubstanz herunterbrechen und diesen im eigenen Geiste auf grazile Weise neue Nervenbahnen einziehen zu können. Oder in einer treffenden Formulierung eines Clubbetreibers:  „Unvergleichlich wie Konitz einen Standard an der ‚Wirbelsäule operierte’. Non plus Ultra wie man aus der Tradition schöpfend, diese in weitergedachte Kreativkraft transformiert.“  Das schätzten und bewunderten auch all seine Partner. In den folgenden Jahrzehnten viele herausragende Jazz-Persönlichkeiten à la Martial Solal, Paul Bley, Steve Swallow, Max Roach, Shelly Manne, Kenny Wheeler und unentwegt, was sich mit fortschreitendem Alter zusehends verstärkte, forcierte Konitz die Begegnungen mit der jeweils jungen Jazzgeneration. Dazu gehörten beispielsweise Dave Holland, Jack DeJohnette, Hal Galper, Brad Mehldau, Charlie Haden, Bill Frisell. In den 1990er Jahren ereignete sich wiederholt ein Österreichbezug, als Konitz mit dem Wiener Trompeter/Flügelhornisten Franz Koglmann in einer Art freizügiger „Third Stream“ Diktion in wunderbarer Weise über Duke Ellington sinnierte (CD „We Thought About Duke“). Jene Neugierde und Berührungsängsteresistenz behielt sich der Saxophonist bis in jüngste Zeiten, wovon Begegnungen mit den Pianisten Frank Wunsch, Florian Weber, Dan Tepfer oder dem Saxophonisten Ohad Talmor zeugen. In seinen letzten Lebensjahren vollzog Konitz den musikalisch wohl radikalsten Schnitt. Die immer häufigere Umsetzung seiner aufs äußerste entschlackten Saxophonlinien mittels einer bizarr porösen Stimmperformance. Unvermindert elastisch und federleicht swingend. Nun, am 15.4. 2020, hat Konitz die Seiten gewechselt und ist jetzt vermutlich in Besitz der größtmöglichen Lee-berty. (Hannes Schweiger)