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Wir im Jazzclub haben Karl Ratzer schon vor Jahrzehnten geadelt und ihm den Berufstitel „Sir“ verliehen. Es freut mich natürlich außerordentlich, dass es nun die Republik uns gleichtut und ihm hochoffiziell den Professoren-Titel verleiht, den er ohne Zweifel verdient. Ich habe vor ein paar Jahren die Linernotes seiner Einspielung „Tears“ geschrieben und sein musikalisches Leben in vier Abschnitte eingeteilt:
Sein Debüt gab er als knapp 14-Jähriger in der Underground-Band The Slaves, die auch international für Furore sorgte ‒ vor allem auch deswegen, weil diese Band vom damaligen Manager der Rolling Stones (man schrieb das Jahr 1965) unter Vertrag genommen wurde, nachdem Mick Jagger, Keith Richards & Co nach einem Stadthallen-Konzert The Slaves im damals sogenannten „San Remo Club“ (heute wohl besser bekannt als „Camera“) gehört hatten. Bevor die Band wirklich durchstartete, wurde sie schon wieder aufgelöst. Angeblich schlummern immer noch Bänder in einem Londoner Aufnahmestudio, die nie veröffentlicht wurden, obwohl eigentlich für die erste LP produziert. Es folgten Bands wie Charles Ryders Corporation, die Rockband C-Department und schließlich Gipsy Love mit Kurt Hauenstein, Peter Wolf und seinen Cousins Harri & Jano Stojka, eine Band, die bis heute Kultstatus genießt.
1972 ging Ratzer nach Amerika, was den zweiten Abschnitt einläutete. Nach der Zusammenarbeit mit der Band Rufus, die später mit Chaka Khan weltberühmt wurde, gründete er in New York eine Band mit Jeremy Steig, Eddie Gomez, Dan Wall, Ray Mantilla und Joe Chambers (mit den letzten drei arbeitete er auch später immer wieder zusammen) und sorgte dafür, dass Gitarristen wie John Scofield oder John Abercrombie stets in höchsten Tönen von seinen instrumentalen und harmonischen Fähigkeiten schwärmten. Mit Chet Baker absolvierte er von 1979 bis 1985 Duo-Konzerte in den USA und Europa (u.a. auch in der Jazzspelunke in Wien) und wirkte an der Aufnahme „Live in Paris“ (1981) von Baker mit. Anfang der 1980er Jahre kehrte Ratzer den USA den Rücken und kam nach Wien zurück, wo er sich u. a. als Jazzclub-Betreiber verdient gemacht hat. „Camarillo“ hieß das Lokal, und wenn ich das Wort „verdient“ verwende, dann ist das natürlich nicht ökonomisch gemeint. Das Lokal musste, kaum eröffnet, nach relativ kurzer Zeit aus wirtschaftlichen Gründen auch schon wieder schließen. Zwei Konzerte in seinem Club bleiben mir ‒ damals ein junger Student in der Bundeshauptstadt ‒ in Erinnerung: ein fantastischer Auftritt von David Murray mit seinem Oktett und die Big Band (!) von Henry Threadgill. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, dass derartige Engagements zwar musikalisch Sinn machen, aber finanziell schnell in einem Desaster enden.
Ratzer unterrichtete fortan (dritter Abschnitt) an der Kunstuniversität Graz (KUG) und am Vienna Music Institute (VMI) und setzte sich vorbildlich für seine Studierenden ein, für die er ziemlich selbstlos auch immer wieder Gigs organisierte. Daneben brachte er einige bemerkenswerte Einspielungen heraus wie „Waltz for Ann“ mit Art Farmer (1991), „Coasting“ mit Chaka Khan (1995) oder „Saturn Returning“ mit Dan Wall (2002).
Die durchaus verdiente internationale Anerkennung blieb ihm allerdings (vorerst) verwehrt, auch aufgrund seines (vorsichtig formuliert: leicht ausufernden) Lebensstils. Wobei natürlich anzumerken ist, dass Ratzer immer hingebungsvoll der Musik diente (und dies bis heute tut). Aber aufgrund seiner exzentrischen und oft unberechenbaren Art, die ihn einerseits musikalisch auszeichnet, die aber andererseits auch dazu geführt hat, dass es nicht allzu viele Veranstalter gibt, die ihn ein zweites Mal gebucht hätten, manövrierte er sich ‒ sportlich gesprochen ‒ etwas ins Abseits. Nicht auf Dauer freilich, und zum Glück für ihn und uns!
Befreit von unterschiedlichen Zwängen und Verlockungen (oder seinen „Dämonen“, wie seine Frau Anna das bezeichnet), die ihm sein Leben nicht gerade erleichtert haben, will er es als Mittsechziger noch mal wissen. Begonnen hat dieser vierte Karriereteil mit der Einspielung von „You’ ve changed“ mit Peter Tuscher (2011), einer wunderbaren Aufnahme von Standards im Quintett. Interessant auch die Titelwahl dieser CD, die auf ein unerschütterliches Selbstbewusstsein des Gitarristen deutet: Nicht er, Ratzer, hat sich geändert, sondern „You“, also die anderen. Drei Jahre später veröffentlichte er die Aufnahme „Underground System“ mit jenen Musikern, die ihn die nächsten Jahre begleiten sollten: Posaunist Ed Neumeister, Saxophonist Johannes Enders, Bassist Peter Herbert und natürlich Howard Curtis am Schlagzeug. Dieses Sextett manifestiert den „neuen“ Ratzer, der sich aber schlussendlich mit „My Time“ (2016) tatsächlich sprichwörtlich neu erfindet, im Trio mit Herbert und Curtis. „Ratzer spielt Jazz, als wären’s Wienerlieder“ titelt Samir H. Köck in der „Presse“ eine Rezension dieser Balladen-CD, und formuliert als Schlusssatz: „Von den Hiesigen kann nur er amerikanische Stile wie Blues und Jazz so erklingen lassen, als wären sie in der Brigittenau entstanden. Grandios.“ Dies kann ich nur unterschreiben!
Der Vollständigkeit halber seien noch die aktuellen allesamt fantastischen Einspielungen erwähnt, die da wären: Duo mit Johannes Enders (2016), Tears (2017), Extracello (2019), und ganz aktuell sein Duo mit Ed Neumeister (2021).
Soweit zum Musiker Karl Ratzer. Aber hinter jedem Künstler steht natürlich auch eine Person, und eine Persönlichkeit ist er zweifellos, der Sir bzw. Herr Professor. Nach Außen oft ruppig, aber Innen hat er ein großes Herz. Ein authentischer Mensch, der das was er ist nicht spielt, egal ob auf oder abseits der Bühne. Ein Mensch, dessen Sprache die Musik ist, für den Musik ein Lebensmittel ist oder wie die Luft zum Atmen, der ohne Musik nicht lebensfähig wäre. Eine Anekdote fällt mir dazu ein. Für die Sendung „Weltberühmt in Österreich“ sollte auch Karl Ratzer interviewt werden, im P&B vor einem Konzert ebendort. Kameras waren in der Musikergarderobe aufgebaut und der Redakteur mühte sich redlich ab, dem Karl irgendwas Verwendbares zu entlocken, erfolglos – bis Ratzer aufstand, seine Gitarre in die Hand nahm und spielte und sang. Das wars, so kann er sich ausdrücken, das ist wie gesagt seine Sprache!
Lieber Karl: Es ist mir eine große Ehre zu deinem näheren Freundeskreis zu zählen und die Kulturnation Österreich kann sich glücklich schätzen, so ein musikalisches Genie zu beheimaten. Ich gratuliere Dir herzlich zur verdienten Auszeichnung und freue mich schon auf die nächsten Konzerte. Eine Textzeile zum Schluss: Don’t say I’m late, it’s my time. Recht hast! Chapeau.... Christoph Huber