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SA 15. Juli 2017
Brass Fantasies
TOMASZ STANKO & ENRICO RAVA QUINTET 'EUROPEAN TRUMPET LEGENDS'
Tomasz Stanko (tp), Enrico Rava (flh), Giovanni Guidi (p), Dezron Douglas (b), Gerald Cleaver (dr)
Es war ein Aufeinandertreffen jener beiden europäischen Trompeter, die die evolutionären Neulanderkundungen von Miles Davis, die dieser Ende der 1950 bzw. in den 1960er Jahre vorangetrieben hat, am tiefempfundensten und originärsten in Eigenes umgemünzt haben. Stanko und Rava entwickelten ihre unverkennbare Stilistik im Einflussbereich der, die letzte Konsequenz der „Befreiung“, besser gesagt Erweiterung, der Jazz-Formgebung vollzogen habenden Bewegung. Zunächst tiefverwurzelt in der weitestgehend frei improvisierenden, impulsiven Spielhaltung europäischer Provenienz, der beide mit eben jenem lyrischen Ansatz, der in eine rhapsodische Ausdrucksform integriert ist, eine poetische Note beifügten. Mittlerweile pflegen die zwei Trompeter einen abgeklärten, umfassenden „Modern Jazz“-Zugang, der sich um tonale Zentren gruppiert, welche zwanglos und imaginativ ausgereizt werden. Diese Begegnung ist ein kaum zu glaubendes Novum. Wiewohl sich ihre Wege immer wieder kreuzten, kam es erst auf ihre alten Tage, auf Betreiben Stankos, zu jenem gemeinsamen Projekt. Einleitend gab sich die Darbietung recht konventionell. Ein schnittiger Mid-Tempo Groove gab den Takt vor, flankiert von einem eingängigen Bassostinat, vorangetrieben von kompakten Akkordfortschreitungen. Die Bläser fackelten nicht lange und schmückten das Konvolut mit einem singbaren Thema – einmal wars auch der unumgängliche Standard „My Funny Valentine“, ehe sie ihre improvisatorischen Geheimnisse lüfteten. Diversitäten und Gemeinsamkeiten gingen in packender Weise Hand in Hand. Beide eint eine impressionistische Erzählweise, verschieden ist ihre Intonation und Phrasierung. Rava besticht mit warmem Ton und weichen Legatolinien, kleinen indeterminierten Ausbrüchen inklusive, während Stanko einen dunklen, aufgerauten Ton in brüchiger Formgebung kultivierte. Zunächst legten es die Trompeter lässig elegant an. Von Minute zu Minute nahm der Dialog an Intensität zu. Rava, der sich ausschließlich dem Flügelhorn widmete, und Stanko vertieften sich in kontrolliert hitzige Call & Response-Passagen, konterkarierten sich gegenseitig mit elastischer Kontrapunktik oder überließen sich respektvoll das Feld für Monologe. Mit Fortdauer erwies sich der ein wenig ältere Rava als der ideenreichere Impulsgeber und war auch sonst der konditionell Bessergestellte. Stanko wirkte ein wenig müde und zog sich öfter auf kürzere aber umso dringlichere Phrasen voll energischer Attack zurück. Inzwischen hatten aber die jungen „Rhythmusverantwortlichen“, die bisweilen bravourös umsichtig und gestaltend ihre beiden Altvorderen bei bester Spiellaune hielten, die Initiative übernommen. Auf Grundlage einverständlicher Chemie entfachten Guidi, Douglas und Cleaver einen subtil konstruierten Drive, der ihre vielschichtigen harmonischen wie rhythmischen Vernetzungen bewegungsdynamisch permanent am Sieden hielt. Dahingehend besonders auffallend agierte der Pianist Guidi. Alleine sein unorthodoxes, wagemutiges Harmonieverständnis in der Begleitfunktion war schon ein Erlebnis. Erst recht in den Improvisationen erblühte seine bemerkenswerte Begabung. Mit selten zartem Anschlag verschmolz er mit feinnervigem Ansinnen vertrackte Versponnenheit und extrovertierte Ekstase. Der Abend war die ehrliche Inszenierung von Legendenstatus in Würde und Altersweisheit im Spiegel jazzidiomatischer Tondichtung.